E-Motion, Servomatic und Co: Zusatzantrieb vorab ausführlich testen!

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Rollstuhlfahrerin mit Zusatzantrieb
Rollstuhlfahrerin mit Zusatzantrieb

Foto: Alber.de

Seit Alber mit dem ersten E-Motion den Markt der Hilfsmittel gründlich aufgemischt hat, haben Rollstuhlfahrer auf der Suche nach einem geeigneten aktiven Zusatzantrieb eine große Auswahl. Doch auch wenn Kostenträger zunächst gerne nach dem Kostenfaktor entscheiden, sollten sich Rollstuhlfahrer genau überlegen, was sie eigentlich benötigen und das ausgewählte System auf Herz und Nieren testen. Wo liegen denn nun die Unterschiede? Was kann der E-Motion besser, wo liegen die Stärken des Servomatic, wie sieht die Konkurrenz aus? Ein Vergleich.

Wir haben eine Odyssee hinter uns: der ursprüngliche Antrieb, ein E-Motion der ersten Generation, machte allmählich schlapp. Die Akkuleistung wurde sehr bescheiden, der Spannungsabfall dafür umso größer, und zwischendurch ging der Antrieb schon einmal mitten auf der Straße beim Überqueren einer Fußgängerampel aus. Ersatz musste also her, und das schnell. Was am E-Motion schon immer gestört hatte, war das verhältnismäßig hohe Gewicht der Bleiakkus. Besonders beim Verladen geht das in den Rücken. Das Sanitätshaus empfahl als Alternative den Servomatic von Meyra, weil er über einen externen Akku am Rückenteil verfügt statt der beiden Akkus, die beim E-Motion in die Räder eingerastet werden. Testen konnten wir den Servomatic allerdings nicht – und das war ein verhängnisvoller Fehler.

Nach langer Wartezeit und hunderten Anrufen bei Krankenkasse und Sanitätshaus, die sich gegenseitig den schwarzen Peter zuschoben, kam er nun endlich: der “neue” Rollstuhl. “Neu” deshalb, weil die Krankenkasse es offenbar als weitsichtig betrachtete, einer jungen Studentin mit einer angeborenen Muskelkrankheit, die täglich etliche Kilometer mit dem Rollstuhl zurücklegt, einen gebrauchten Rollstuhl aus dem Pool zu liefern. Das war aber bei Weitem nicht das größte Problem. Ich schnappte mir den Rollstuhl mit dem Antrieb von Otto Bock, der baugleich mit dem Meyra Servomatic ist, einmal selbst für die erste Probefahrt. Und schon nach zwei Metern war klar: durchgefallen. Die Unterstützung war sehr viel geringer als bei unserem alten E-Motion, die Übersetzung von den Greifringen aus schwammig über irgendwelche federn, und aktives Bremsen an Gefällen ging nicht. Dieser Antrieb kannte nur: nicht bremsen oder Vollbremsung. Meine Partnerin testete dann selbst, und da ich ihre eigene Meinung hören wollte, habe ich sie nicht mit meinen Erfahrungen vorgewarnt. Ihr Urteil: vernichtend.

Also folgten weitere Anrufe bei der Krankenkasse: Hilfsmittel ungeeignet, sie mögen den Antrieb bitte umgehend abholen. Mittlerweile hatte ich mir bereits fachlichen Rat bei Alber, dem Hersteller des E-Motion, gesucht, und dort erfahren, dass der Servomatic in zwei Unterstützungsstufen erhältlich ist. Wir hatten offenbar das Modell mit Stufe 1, der schwachen Unterstützung, erhalten. Und das war für meine Partnerin nicht die geringste Hilfe. Damit konfrontierte ich die Krankenkasse, und eine Woche später wurde dann endlich ein neuer Antrieb geliefert. Diesmal der Meyra Servomatic, in Stufe 2-Ausführung. Und auch dieser entpuppte sich als echter Fehlgriff. Denn während die Greifringe beim E-Motion direkt an Mikroschalter gekoppelt sind und so – je nach Programmierung – schon leichteste Bewegungen ausreichen können, um den Antrieb zu aktivieren, sind die Greifringe beim Servomatic an ein Konstrukt aus Zugfedern gekoppelt. Es bedarf sehr viel mehr Anschub, um den Servomatic in Bewegung zu setzen. Hinzu kam die überaus deutliche Lärmentwicklung: der Servomatic machte sich mit einem penetranten Motorengeräusch überall bemerkbar, während der E-Motion im Normalfall schlichtweg nicht zu hören ist. Die fummelige Demontage der Räder und des Kontaktsteckers beim Zerlegen des Rollstuhls war ebenso nervig wie der Akku an der Rückseite, der mir als Schieber ständig blaue Flecken am Schienbein beschert hat und bei Regen auch bisweilen piepsend den Dienst quittierte, weil das Gehäuse nur unzureichend gegen Spritzwasser geschützt war. A propos Schieber: der Rollstuhl ließ sich (anders als der E-Motion) im eingeschalteten Zustand nicht schieben. Das Getriebe verfügt schlichtweg nicht über einen Freilauf. Also galt immer: erst ausschalten, dann schieben. In der Praxis war dieser Antrieb eine einzige Katastrophe.

Mit einem Vorabtest hätten wir all diese Probleme umschiffen können. Wir arrangierten uns eine Weile damit und ertrugen all die Hindernisse einige Jahre, bis der Rollstuhl endlich wieder zum Austausch fällig war und wir zu einem E-Motion der zweiten Generation zurückwechseln konnten.

Auch der E-Motion hat durchaus seine Tücken: das Gewicht ist bis heute nicht unerheblich, und das sperrige Ladegerät ist auf Reisen so platzraubend, dass wir meistens auf E-Motion und Ladegerät verzichten und die Standardräder am Rollstuhl montieren – womit auch über 20 Kilogramm an Gewicht eingespart werden, aber ich eben immer schieben muss. Ebenfalls in Punkto “Platzsparendes Entwickeln” müssen die Ingenieure von Alber noch dringend Nachsitzen, was die (notwendige) Fernbedienung anbelangt. Der zweite E-Motion kommt mit einer Fernbedienung daher, die nicht nur über den Ladezustand der Akkus informiert, sondern auch zwingend benötigt wird, um zwischen den beiden wählbaren Fahrstufen umzuschalten. Das ist am Rad nicht möglich. Ebenso nötig ist sie zur Programmierung und Feineinstellung des Antriebs. Und dieses klobige Ding im Format eines Hundeknochens für ausgewachsene Schäferhunde ist nun wirklich kein Aushängeschild für die sonst findigen Entwickler von Alber. Hinzu kommt als letzter Kritikpunkt, dass der Antrieb nur mit einem codierten Schlüssel programmiert werden kann – und der soll laut Anweisung von Alber beim Sanitätshaus verbleiben. Da stellt sich nun wirklich die Frage, ob Alber seine Kundschaft nun pauschal für unmündig und unzurechungsfähig hält. Ich besitze einen solchen Schlüssel, ebenso wie die Programmieranleitung für Sanitätshäuser und Therapeuten – und auch wenn ich technikaffin sein mag: den E-Motion zu programmieren hat nun wirklich nichts mit Raketenphysik zu tun. Das könnte Alber dem Großteil der Rollstuhlfahrer durchaus zutrauen.

Insgesamt aber schlägt der E-Motion den Servomatic für unsere Belange (und eben ausdrücklich nur für UNSERE!) Belange um Welten. Da die Anforderungen aber individuell verschieden sind, lautet der dringende Rat: Unbedingt vorab testen, bevor die Verordnung ausgestellt wird! Denn sonst können Rollstuhlfahrer am Ende mit einem Rollstuhl dastehen, der ihnen im Alltag nicht im Geringsten weiterhilft.

Übrigens: eine gute Testgelegenheit dafür ist die alljährlich stattfindende REHACARE vom 25.-28. September in Düsseldorf. Und natürlich wird sich Mobilista.eu dort auch umsehen – wen von euch treffen wir dort? Wir freuen uns auf euch!

1 Kommentar
  1. Caro “Wurzelgnom” S. sagte:

    Vielen Dank für den Tipp.
    Ich persönlich hätte auch gerne getestet, hab aber nichts von dieser Möglichkeit gewusst. Allerdings hatte ich eine sehr gute Beratung. Am Anfang war es ein aktiv Rolli von Otto Bock an dem dann später E-Motion Räder nachgerüstet wurden. Das fahren war easy, nur das kippen war mir damit nicht möglich. Seit dem Frühjahr habe ich einen neuen Rolli ” Easy Life von Sopur” mit meinen alten E-Motion Rädern und bin sehr zufrieden damit. Nach Auskunft des Sanitätshaus werden bei Bedarf einfach nur die Accu ausgetauscht bzw ein Accu unter dem Sitz eingebaut wenn ich die Räder nicht mehr selbst bewegen kann.
    Ich war und bin sehr zufrieden mit dem E-Motion und jetzt auch mit dem neuen Rollstuhl weil ich jetzt auch super ankippen kann um zB Bordsteine hoch zufahren.

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