Mit dem Rollstuhl zum Sziget Festival fliegen

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Tanzende Mädchen auf dem Sziget-Festival

 

Die SOZIALHELDEN e.V. sind auf das Sziget-Festival in Budapest gereist, um für Wheelmap.org zu prüfen, wie rollstuhlgerecht das Festival ist. Zu diesem Zweck entsandten sie Grafikerin Adina, und ich durfte sie auf ihrer Reise begleiten. Wie ist es also, mit dem Rollstuhl auf das Sziget-Festival zu fliegen, noch dazu in ein unbekanntes Land?
Ein Reisebericht.

 

 

Vorwort: es handelte sich wie eingangs beschrieben um eine Kooperation zwischen Wheelmap.org und dem Sziget-Festival (siehe Ankündigung). Einzelheiten über das Festival als solches wird es bei Wheelmap.org geben, hier geht es um die gesamte Reise ohne Fokus auf das Festival.

Vorbereitungen

Screenshot Hotelsuche - rollstuhlgerechtes Hotel bei HRS.de

Hotelsuche

Es musste schnell gehen, viel Zeit blieb nicht. Zunächst machten wir uns auf die Suche nach einem Flug und einem rollstuhlgerechten Hotel. Einige wenige Hotelsuchmaschinen wie ab-in-den-urlaub.de, trivago.de und hrs.de bieten inzwischen die Möglichkeit, die Suche nach rollstuhlgerechten Zimmern zu filtern. Schnell wurden wir fündig und buchten das Hotel – mit der Angabe des Wunsches nach einem rollstuhlgerechten Zimmer. Auf der Hotel-Webseite betonte das Management stets, sich sehr um Zugänglichkeit zu bemühen – klang also schonmal gut!

Auch der Flug war schnell gebucht – EasyJet bietet inzwischen während der Buchung einen Dialog an, in dessen Verlauf man besondere Anforderungen wie Rollstuhl und dergleichen anmelden kann, was dann durch SSR-Codes an die jeweiligen Flughäfen weitergeleitet wird. Hierfür war nicht einmal mehr ein Anruf fällig, so wie es früher der Fall war – vorbildlich! (Infolink: Hinweise zum Fliegen als Rollstuhlfahrer)

Was blieb, war die Überlegung, wie wir vom Flughafen zu unserem Hotel kommen sollen. Der Flughafen Budapest liegt ein Stück außerhalb der Stadt, und eine Verbindungsanfrage beim Budapester Verkehrsverbund BKV, die sogar deutschsprachig gestellt werden kann, ließ Ernüchterung aufkommen: Wir würden zwei Stunden und fünf Umstiege in einer völlig fremden Stadt einschließlich recht langer Fußwege auf uns nehmen müssen. Als Alternative entdeckten wir das Airport-Shuttle: Mit Minibussen geht es mit oder ohne Voranmeldung direkt vom Airport in die City. Und der Preisrechner war ebenfalls erfreulich: Hin- und Rückfahrt für unter 30 Euro – ein fairer Deal. Kurz nachgefragt bei der Info, ob Rollstühle für das Shuttle ein Problem sind, wenn die Passagiere umsteigen können – keine zwei Stunden später hatte ich eine Email mit der freundlichen Auskunft, dass das überhaupt kein Problem sei, im Postfach. Als Reminder schickten wir auch dem Hotel nochmals eine Email mit der Bitte um ein rollstuhlgerechtes Zimmer – auf die allerdings keine Antwort erfolgte.

Der Infoseite des Sziget-Festivals entnahmen wir zudem, dass es ein Rollstuhl-Shuttle gibt, das ganz in der Nähe unseres Hotels starten sollte – kostenlos! Na, wenn das kein Wort ist. Wir waren also voller Vorfreude, klärten noch letzte Einzelheiten, ließen den Rollstuhl überholen (was dringend nötig war – und wir hatten keine Lust auf eine der beinahe schon regelmäßig auftretenden Pannen im Urlaub) und fieberten dem Abflug entgegen. (Infolink: Hinweise zum Festival-Besuch als Rollstuhlfahrer inkl. Checkliste)

Abflug

Mit Bus, Bahn und reichlich Gepäck machten wir uns nun endlich auf zum Flughafen Schönefeld – mit einem etwas flauen Gefühl im Magen. In der Vergangenheit haben wir dort recht durchwachsene Erfahrungen gemacht, was den Umgang mit mobilitätseingeschränkten Passagieren und ihrem Equipment anbelangt. Krönung war der Austausch des Rollstuhls gegen einen flughafeneigenen Rollstuhl direkt am Checkin – nicht nur, dass das uns überlassene Modell aussah, als wäre es einem Medizintechnikmuseum entliehen worden und viel zu groß war, uns erwartete damals bei der Ankunft am Ziel auch eine böse Überraschung: die Reifen waren platt. Völlig luftleer. Unserer Theorie nach hat der Zoll beim Röntgen den Pannenschaum darin bemerkt und Luftproben entnommen, um ihn auf Sprengstoff, Drogen oder sonst etwas zu untersuchen, anschließend aber nicht wieder Luft aufgefüllt. Wir haben uns geschworen: diesmal nicht, egal, wie lange wir das ausdiskutieren müssen. Der Rollstuhl bleibt bis zum Boarding bei uns. Punkt.

Ambulift-Fahrzeug am Flughafen Schönefeld

Ambulift am SFX

Am Flughafen angekommen, wurden wir gleich mehrfach angenehm überrascht. Im vergangenen Jahr hat die Betreibergesellschaft des Service gewechselt. Für das Airport-Management ist nun Gegenbauer zuständig, und mit dieser Firma ist ein neuer Wind eingezogen in das etwas veraltet und heruntergekommen wirkende Flughafengemäuer, das neben dem brachliegenden Rohbau des Berliner Pannenflughafens BER trotz der Kulisse einen trostlosen Eindruck vermittelt.

Checkin und ähnliches wurde bei EasyJet mittlerweile rigoros weggespart. Passagiere checken zuhause online ein und drucken ihre Bordkarten selbst aus. Angesichts des Discountpreises ist das etwas, womit ich leben kann. Das Gepäck muss jedoch weiterhin am Schalter aufgegeben werden. Und dort wurden wir direkt zu einem Warteplatz für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen gelotst, während unser Gepäck direkt zur Sperrgepäckanlage wanderte – wohl, um spätere Komplikationen zu vermeiden, sollte sich doch Klärungsbedarf mit dem Zoll ergeben.

Eine Zigarettenlänge später wurden wir abgeholt, an den schier endlosen Warteschlangen vor dem Sicherheitscheck vorbeigeschleust und direkt zur Sicherheitskontrolle gebracht. Dort erfolgte der übliche Check, anschließend brachte uns der Servicemitarbeiter in den Wartebereich der Abflugzone. Da unser Abflug noch einige Zeit vor uns lag, vereinbarten wir, uns eine Dreiviertelstunde später wieder dort zu treffen, und machten uns auf die Suche nach etwas Essbarem. Schließlich war es soweit: unser Gate wurde geöffnet. Enttäuschend daran war, dass wir (wie bei EasyJet üblich) über das Vorfeld einsteigen mussten, und ich war auf das Schlimmste gefasst: alte Bilder vom DRK, das Rollstuhlfahrer im Evac-Chair über die Gangway hinaufträgt, kamen uns in den Sinn. Umso erstaunter waren wir, plötzlich einen Ambulift vorfahren zu sehen – ein Fahrzeug mit einem Container auf einer Hebebühne, das direkt an die Tür des Flugzeuges andockt. Das war ein Novum – und im Gespräch mit dem Personal erfuhr ich, dass mit Übernahme des Services durch Gegenbauer auch prompt Ambulifts am Flughafen Schönefeld Einzug gehalten haben. Ich persönlich vermute, dass es sich dabei um einen voreilig geschlossenen Vertrag wegen des BER gehandelt hatte, der eigentlich schon vergangenes Jahr hätte eröffnet werden sollen, aber wie dem auch sei: wir waren happy.

An Bord wurden wir direkt in die erste Reihe gesetzt (statt wie auf dem Ticket vorgegeben in Reihe 9 wandern zu müssen), wir sicherten das Sitzkissen, und der Rollstuhl wurde zum Gepäck abtransportiert. Nachdem die restlichen Passagiere ebenfalls an Bord waren, ging es ab in die Luft, und nach einem viel zu kurzen und ruhigen Flug landeten wir knapp 75 Minuten später in Budapest.

Auch in Budapest wurden wir vom Airport Medic Service mit einem Ambulift abgeholt – Adina erhielt sofort ihren Rollstuhl wieder, und wir wurden vom Service zur Gepäckausgabe befördert. Während des Wartens gleich noch schnell Geld umgetauscht und unsere Reservierung für das Airport-Shuttle in Gutscheine für die Fahrt eingelöst, anschließend unser Gepäck geschnappt, und wir bewegten uns zum Schalter des Airport-Shuttle. Nach knapp 20 Minuten empfing uns dann auch unser Taxi, dessen Fahrer etwas ratlos auf Adina blickte. Nachdem sie mit meiner Hilfe dann im Bus saß, wirkte unser Fahrer sichtlich erleichtert, verlud das Gepäck und den Rollstuhl, und wir machten uns auf Richtung Hotel. Knapp eine halbe Stunde später hatten wir nun also unser Ziel erreicht.

Hotel

Das Hotel in Bestlage, direkt an der Donau, gegenüber des prächtigen ungarischen Parlaments, mit Blick auf die Kettenbrücke und die Margitbrücke, machte zunächst einen guten Eindruck. Gespannt begaben wir uns zum Check-In. Und hier wartete die erste unangenehme Überraschung.

Mit einem bedauernden Blick auf Adina teilte uns der Empfangschef mit, dass wir erst ab Samstag (also zwei Tage vor unserer Abreise) ein rollstuhlgerechtes Zimmer erhalten könnten. Klasse. Wir mussten uns also mit einem normalen Zimmer begnügen, das wenigstens direkt mit dem Fahrstuhl erreichbar war. Der erste Eindruck des Zimmers war positiv, wohl aus Designgründen hatte der Architekt sogar an unterfahrbare Waschbecken gedacht – die Badewanne und das WC in etwa 30 Zentimetern Höhe allerdings waren deutliche Mankos. Die Größe des Zimmers war hingegen auch mit Rollstuhl in Ordnung, auch wenn mich der Zustand des Zimmers bei näherem Hinsehen dann doch überraschte: ein Viersterne-Hotel mit Flecken an den Tapeten und im Teppich, einem sichtbaren früheren Wasserschaden im Badezimmer und sich ablösenden Teppichkanten? Nun denn…

Blick vom Hotel auf Donau und Parlament

Ausblick Hotel

Wir arrangierten uns mit den Umständen, waren wir doch schließlich hier, um Budapest bei kochend heißen 40 Grad sowie das Sziget-Festival zu erkunden. Als leichter Hunger aufkam, erwartete uns allerdings die zweite böse Überraschung: Zugänglichkeit wird hier groß geschrieben? Was genau machen dann die Stufen vor dem Bar-Bistro und die Treppe vor dem Frühstücksraum hier?! Uns wurde klar: wir verpflegen uns auswärts. Nach einer späteren Beschwerde werden wir erfahren, dass es zumindest zum Frühstücksraum einen Treppenlift gibt – der aber derzeit defekt war, und die Ersatzteile ließen auf sich warten. Wir allerdings wurden noch nicht einmal auf die Existenz diesen Lifts hingewiesen. Schade – klarer Punktabzug. Auch die völlig irreführenden Informationen auf der Webseite hinsichtlich Zugänglichkeit waren Bestandteil unserer Beschwerde – und fanden sogar Gehör: der Empfangsmanager versprach, die Informationen an die zuständige Abteilung weiterzuleiten. Offenbar wurde die entsprechende Infoseite mittlerweile sogar bereits überarbeitet – ein deutlicher Hinweis, dass sich das Hotel ausschließlich zum Übernachten für Rollstuhlfahrer eignet, findet sich allerdings bedauerlicherweise noch immer nicht.

Wir entschlossen uns also, loszumarschieren und machten uns gleich auf, um zur Sziget-Insel zu marschieren. Das Sziget-Festival, das seinen Namen durch das ungarische Wort für “Insel” erhalten hat, findet auf der Obudaisziget statt – der nördlichen der beiden Donauinseln, oberhalb der Margaretheninsel. Unser Hotel lag unterhalb der Margaretheninsel, und da das Rollstuhlshuttle erst in den kommenden Tagen fahren sollte, entschlossen wir uns, zu laufen. Ein Fehler.

Ich habe die Entfernung vollkommen unterschätzt. Ich gehe sehr gerne und viel zu Fuß, habe Adina auch im Rollstuhl mehrmals quer durch Prag geschoben und habe kein Problem mit weiten Strecken. Aber diese Strecke hatte es in sich: schlechtes Pflaster, einkehrende Dämmerung – kurzum, nach rund zwei Stunden straffen Fußmarsches standen wir schweißgebadet vor dem Einlass zum Parkplatz. Von dort ging es allerdings zu Fuß nicht weiter – an der Verbindungsstraße zum Festival bestand striktes Fußgängerverbot. Das Sicherheitspersonal dort lud uns allerdings kurzerhand in ein Privatfahrzeug ein und chauffierte uns vor den Eingang – wow, netter Service! Da waren wir also – holten unsere Einlassbänder ab und betraten die “Island of Freedom”. Und die war erschlagend groß!

Der unschlagbare Vorteil des Sziget-Festivals: Es handelt sich bei der Obudaisziget um eine regulär genutzte Insel, wo auch die lokale Budapester Clubszene ansässig ist. Viele Wege sind daher dort asphaltiert (und während des Festivals gesperrt), der Hauptweg zur Mainstage ist mit Metallplatten befestigt. Wir hatten also relativ wenig Mühen, uns unseren Weg zu bahnen – wohl aber, uns zu orientieren, denn trotz der Karte (die uns bis zuletzt nicht so recht maßstabsgetreu erscheinen wollte) war diese Insel einfach dermaßen groß, dass es schwerfiel, sich zurecht zu finden. Erst nach Tagen wussten wir einigermaßen, wo sich welche Teile finden, und erreichten unser Ziel ohne gigantische Umwege. Die Stimmung war unglaublich ausgelassen, offen und fröhlich – eine gigantische Party eben mit über 360.000 Teilnehmern aus aller Welt! Schließlich aber wurde es Zeit, ins Hotel zurück zu kehren – und wir standen vor einem Problem. Wie sollten wir dorthin kommen? Noch einmal denselben Fußweg marschieren kam nicht infrage – ich war endgültig fußlahm und todmüde.

Als wir den Ausgang erreichten, hatte sich diese Frage erledigt. In einem riesigen Pulk, aus dem es kein Ausbrechen gab, wurden wir etwa einen Kilometer mitgeschoben und standen plötzlich vor Bahngleisen. Der Ausgang wird automatisch dorthin gelotst – und es gibt kaum ein Entrinnen. So wurden wir kurzerhand mit Hilfe des Bahnpersonals über die beinahe einen Meter hohen Schwellen in die U-Bahn verfrachtet. Wie wir dort wieder herauskommen sollten – naja, es waren ja ausreichend potenzielle Helfer um uns herum. So kam es dann auch: am Endbahnhof, nahe unseres Hotels, bot uns ein Mitfahrender spontan Hilfe an, und wir standen wieder vor der Bahn. Nun kam aber direkt das nächste Problem auf uns zu: Budapester U-Bahnhöfe sind bekannt dafür, dass kaum einer davon über Fahrstühle verfügt. Der, an dem wir gelandet waren, gehörte ebenfalls zur breiten Masse, und so nahmen wir nach kurzer Suche kurzerhand die Rolltreppe. Kurze Zeit später waren wir wieder im Hotel.

Das Sziget-Festival bei Tag

Rollstuhlrampen im Ability Park zum Testen für Nicht-Rollstuhlfahrer

Ability Park

Am nächsten Tag erkundeten wir das Festival erneut. Etwas, was uns besonders interessierte, war der vorab beworbene “Ability Park” – ein Bereich direkt neben dem speziellen Campingground für Rollstuhlfahrer. Letzteres ist eine Besonderheit auf dem Sziget-Festival: man campt, wo immer man möchte, solange man nicht gerade in Veranstaltungsbereichen oder auf Wegen sein Zelt aufschlägt. Das gilt auch für Rollstuhlfahrer, optional können diese allerdings auch einen speziellen reservierten Bereich nahe der großen Bühnen mit rollstuhlgerechten Sanitäranlagen nutzen. Im Ability Park selbst herrscht praktisch gelebte Inklusion: alle Interessierten können Gebärdensprachkurse buchen oder sich mit verbundenen Augen und Gehstock den Weg durch ein Labyrinth aus Zäunen bahnen, um das Leben als Blinder zu erfahren. Eine waghalsige Rampenkonstruktion dient dazu, mit einem geliehenen Rollstuhl die Tücken des Alltags und den Kraftaufwand an Steigungen oder Gefällen zu erfahren. Zudem gibt es einen Rollstuhl-Reperaturservice, über den wir bei früheren Urlauben sehr dankbar gewesen wären! Überrascht waren wir zudem, dass der Ability Park doch recht rege besucht wurde und zahlreiche Interessierte anlockte.

Wir lösten uns und erkundeten das Festival weiter. Viele der Veranstaltungszelte waren mit hölzernen Rampen ausgestattet, allerdings wurde es zwischenzeitlich naturgemäß doch recht rustikal. Schotter und Sand sind natürliche Feinde jeden Rollstuhls – insbesondere, weil wir es immer noch nicht geschafft haben, die Ersatzräder endlich mit Mountainbike-Reifen bestücken zu lassen. Wir bahnten uns dennoch unsere Wege über die riesige Insel und entdeckten ständig Neues. Schließlich begaben wir uns zur Hauptbühne, um auf dem dortigen Rollstuhlpodest Platz zu nehmen. Sehr positiv daran: sowohl das Podest als auch die drei Rollstuhl-Dixies dahinter wurden ständig von der Security bewacht und vor unbefugtem Zutritt beschützt – so radikal, dass nicht einmal Fotografen für ein Bild nach oben durften! Den Auftakt bildeten vertraute Klänge aus der Heimat: Die Ärzte waren uns von Berlin aus nachgereist, um uns auch in Budapest Unterhaltung zu bieten.

Die folgenden Tage vergingen wie im Flug. Bei unfassbarer Hitze – wir zitieren hier an dieser Stelle: “This is not Budapest, this is Sahara!” – lebten wir uns auf dem Gelände ein, lernten uns zurecht zu finden und erkundeten andere Einrichtungen. Ein ausführlicher Bericht dazu folgt in Kürze durch Adina auf Wheelmap.org. Zwischenzeitlich fanden wir sogar noch Zeit, Budapest ein wenig zu erkunden.

Budapest

Es bedurfte mehrerer Anläuft, um ein wenig von Budapest zu erleben. Unseren ersten Anlauf, den historischen Kern von Buda mit seinem Burgviertel rund um die Fischerbastei hoch über uns zu erkunden, machten die extrem steilen Straßen und die glühende Hitze zunichte. Erstmals musste ich mich geschlagen geben: ich gab auf halber Strecke auf. Mein Kreislauf war schlicht nicht mehr in der Lage, die immensen Anstrengungen bei 40 Grad im Schatten und erbarmungslos strahlender Sonne zu kompensieren, und so beschlossen wir, stattdessen das etwas flachere Pest auf der gegenüber liegenden Seite der Donau zu erkunden.

Budapester Kettenbrücke

Kettenbrücke Budapest

Über die Kettenbrücke marschierten wir also nach Pest, suchten und fanden schließlich auch einen Geldautomaten und ließen uns erst einmal im Restaurant nieder, um etwas zu essen, literweise ungarische Limonade zu trinken und uns auszuruhen, bis wir uns wieder zum Festival bewegten.

Unser nächster Ausflug nach Pest führte uns zur Stefansbasilika und das umliegende Areal. Wir waren reichlich erstaunt festzustellen, dass Pest zumindest in diesem Bereich sehr viel rollstuhlgerechter wirkte als Buda. Während in Buda die meisten Bürgersteige recht holprig waren und fast überall Bordsteinfallen lauerten und sich weite Streckenabschnitte auch noch als absolute Fallen entpuppten, die über beinahe einen Kilometer einerseits durch die eingezäunten Bahngleise, andererseits durch die Donau begrenzt waren und keinen Wechsel zur anderen Straßenseite zuließen, präsentierte sich Pest mit modernen, ebenen Gehwegen, teils sogar abgeflachten Bordsteinkanten und auch architektonisch als krasses Gegenteil zum historisch geprägten Stadtteil Buda auf der Westseite der Donau.

Eine öffentliche Toilette fand sich ebenfalls, und zu unserem Erstaunen war sie rollstuhlgerecht – der hierzulande recht etablierte Euroschlüssel fand dort zwar keine Verwendung, auch kein alternatives Schließsystem, aber immerhin haben Rollstuhlfahrer hier für ein paar ungarische Forint die Möglichkeit, auf die Toilette zu gehen. Auch direkt nebenan, an der Stephansbasilika, hat man offenbar an Rollstuhlfahrer gedacht: von der Seite aus führt ein stufenloser Zugang über eine Schräge hoch zum Eingang, von dort gibt es offenbar einen Treppenlift in das Hauptgebäude – aufgrund des großen Andrangs und der begrenzten Zeit verzichteten wir allerdings darauf, dies zu testen.

Ausblick von der Fischerbastei auf Donau, Parlament und Margarethenbrücke

Ausblick von der Fischerbastei

Der nächste Ausflug führte uns erneut nach Buda – es war etwas kühler, sofern man über 30 Grad als kühl bezeichnen mag, und so starteten wir einen erneuten Anlauf. Unser Ziel: Erneut das Burgviertel rund um das Schloss und die Fischerbastei. Diese liegen auf einem Hügel hoch über der Donau, und die Steigungen dorthin sind gewaltig – so gewaltig, dass sie mit dem Rollstuhl wirklich nicht den geringsten Spaß machen. Den E-Motion haben wir fatalerweise zu Hause aus Gewichtsgründen durch normale Räder ersetzt, sodass mir Adina nun auch nicht unter die Arme greifen konnte. Grundsätzlich machen wir das bei Auslandsreisen eigentlich immer so, insbesondere, wenn wir wissen, dass eine Menge Hebearbeit im nicht rollstuhlgerechten ÖPNV, beim Verladen in Taxen und dergleichen auf mich zukommt, denn der E-Motion bringt mal eben über 20 Kilogramm auf die Waage. In dieser Situation allerdings war das ein handfester Nachteil, denn die zweite Stufe ist bei Adinas E-Motion dermaßen stark eingestellt, dass sie mir selbst an steilen Hängen noch ganz gut helfen kann beim Schieben… mit einigen Mühen und reichlich verlorener Flüssigkeit erreichten wir aber schließlich doch noch unser Ziel: mit reichlich knappem Atem und nassem T-Shirt stand ich vor dem Tor zum Burgviertel. Und nachdem wir das Tor durchschritten hatten, bot sich uns ein überraschender Anblick: ebene Bordsteine und sogar einige abgeflachte Bordsteinkanten. Mitten in einem uralten, historischen Viertel von Budapest.

Wir sahen uns zunächst ein wenig um – ich ließ Adina etwas abseits kurz stehen, um die Treppen zur Burgmauer hinauf zu klettern und einige atemberaubende Panoramablicke über Budapest, die Donau und das Umland zu fotografieren. Anschließend erkundeten wir das Viertel weiter, genossen schließlich sogar gemeinsam den Ausblick von der Fischerbastei aus über die Stadt, und marschierten weiter bis zum Schloss. Da unsere Zeit begrenzt war und wir den Rückweg planen mussten, dem ich mit einigermaßen Bangen entgegensah, erkundigten wir uns zunächst bei der dortigen Bergstation der Standseilbahn, der Budavári Sikló, ob wir eine Chance haben, auch mit dem Rollstuhl die Abfahrt zu nutzen. Und zu unserem großen Erstaunen bejahte die Kassiererin: wir könnten tatsächlich die zweitälteste Standseilbahn der Welt nutzen! Zwar gibt es in Ungarn für Menschen mit einem deutschen Schwerbehindertenausweis so gut wie keine Vergünstigungen (was klar ist angesichts der Tatsache, dass es bis heute keine EU-Regelung gibt, was einheitliche Vergünstigungen und Rechte von SBA-Inhabern anbelangt – im Gegensatz zum Krümmungsradius von Bananen – und der ungarische Schwerbehindertenausweis in Deutschland ebenfalls nicht überall anerkannt wird). So mussten wir also beide den vollen Preis bezahlen, was aber für uns auch völlig in Ordnung war.

Eingang zur Bergstation der Standseilbahn

Standseilbahn

Wir hatten also einiges an Zeit gewonnen, um das Schloss zu erkunden und dennoch rechtzeitig unseren Shuttle-Bus zum Festival zu erreichen. Am Schloss selbst änderten sich unsere Pläne: wir trafen rein zufällig auf eine Familie, die wir bereits auf dem Sziget-Festival kennengelernt hatten. Ihre Tochter ist ebenfalls Rollstuhlfahrerin, und wir ließen uns nieder und verplauderten völlig die Zeit, freundeten uns mit der irischen Familie an, tauschten gemeinsame Erfahrungen und Tipps aus und begaben uns schließlich auf den Weg zurück zur Seilbahn. Über den Ausgang wurden wir zur Bahn gelotst, und tatsächlich: ein Rollstuhl passt quer in die Kabine zwischen Sitzbank und Scheibe! An der unteren Station angelangt, gibt es einen separaten Ausgang für Rollstuhlfahrer außerhalb der Station.
Nun wartete der finale Abend, und mit ihm auch unser letzter Abend in Budapest – am nächsten Tag war unser viel zu kurzer Trip bereits zu Ende. Wir nutzten die Gelegenheit, um den beiden Mitarbeitern des Rollstuhl-Shuttles trotz einiger Schwierigkeiten, es zu finden und trotz Sprachbarriere, zu danken. Das Rollstuhl-Shuttle wird von der Veled-Érted Egyesület gestellt, einer ungarischen Hilfsorganisation, die mit offensichtlich sehr begrenzten Mitteln in Budapest den Behindertentransport für Kinder und Erwachsene durchführt und nach kurzer Recherche auch politisch sehr aktiv zu sein scheint.

Rückflug

Nun war er also gekommen, unser Tag der Abreise. Wir checkten aus, das Airport-Shuttle wartete bereits wie reserviert vor dem Hotel auf uns, und unsere Fahrt zum Flughafen begann. Am Flughafen angekommen bot sich ein amüsantes Bild: das Sziget-Festival war allgegenwärtig zu sehen. Wartende Sziget-Besucher lagen eingerollt in den Ecken des Terminals und holten Schlaf nach, lange Schlangen vor sämtlichen Schaltern ließen uns ahnen, dass wohl eine längere Wartezeit auf uns zukommen würde. Wir stellten uns vor unserem Schalter an und harrten aus, bis eine Service-Mitarbeiterin uns ansprach und für uns einen zweiten Schalter öffnete – wir waren beeindruckt.

Schnell gaben wir unser Gepäck ab, baten um Assistenz für Rollstuhlfahrer, und wurden einige Minuten später auch schon von einem Service-Mitarbeiter abgeholt, der uns wiederum an den langen Schlangen vor der Sicherheitskontrolle vorbeilotste. Auf dem Weg zum Abflugbereich wurde nun allerdings auch klar, dass wir ein Verständigungsproblem haben: wir wollten noch frühstücken und ein wenig shoppen, schließlich war noch reichlich Zeit bis zum Abflug. Dem ausschließlich ungarisch sprechenden Servicemitarbeiter (was an einem internationalen Verkehrsflughafen wirklich problematisch ist!) war es nur schwer verständlich zu machen, was wir wollten. Mit Hand und Fuß war es ihm aber letztlich doch noch beizubringen, und so parkte er uns in einem Bistro, wo wir endlich frühstücken konnten. Einige Besorgungen konnten wir auch noch erledigen, bis wir wieder abgeholt wurden und direkt zum Ausgang im Bereich des Airport Medic Services gebracht wurden.

Toilette auf deutlich zu hohem Sockel.

Örtchen mit Ausblick

Die dortige Toilette für Rollstuhlfahrer bot ein irritierendes Bild: Platz war ausreichend vorhanden, warum allerdings die bereits hohe Schüssel (mit Normmaßen zwischen 45 und 50 Zentimetern Sitzhöhe) auch noch auf einem rund 20 Zentimeter hohen Podest montiert war, blieb unklar. Immerhin: dem Benutzer wird von dort oben eine erstklassige Aussicht geboten – die allerdings für Toilettenräume naturgemäß eher weniger eindrucksvoll in Erinnerung bleibt.

Via Ambulift ging es nun erneut zum Flieger, diesmal allerdings wurden wir auf unsere zugeteilten Plätze geschickt statt in die erste Reihe – was sich als wenig optimal herausgestellt hat. Nicht nur der recht weite Weg bis zur Reihe 7, auch die bei EasyJet extrem engen Sitzreihen machten diesen Weg für Adina etwas unkomfortabel. Airbus hat bekanntermaßen für EasyJet den bislang am häufigsten eingesetzten Airbus A319-100 so umgebaut, dass die Bestuhlung noch dichter erfolgen konnte – wofür zwei zusätzliche Notausgänge notwendig wurde. Ist diese Maschine vollbesetzt, zwängen sich darin 156 Passagiere – die Enge kann man sich dabei lebhaft vorstellen. Ideal sind für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen die erste Reihe sowie Reihe 10 am Notausgang, weil sie mehr Beinfreiheit bieten.

Der Rückflug verlief unspektakulär – von leichten Strömungsabrissen beim Start abgesehen hatten wir einen ruhigen Rückflug und landeten nach einiger Zeit wieder in Berlin – bei deutlicher weniger Wärme als beim Start. Nachdem das Flugzeug leer war, durften auch wir wieder via Ambulift in die Freiheit und gelangten zur Gepäckausgabe, kurze Zeit später ging es via Regionalbahn zum Ostbahnhof und Bus nach Hause.

Fazit

Wir haben schon einige Reisen hinter uns. Österreich, Niederlande, Tschechien, Sardinien, Mallorca – fast immer gab es kleinere Hindernisse zu überwinden. Wir haben gelernt, dass ein wenig Improvisationstalent und bisweilen starke Nerven dazugehören – das betrifft aber beinahe jeden Reisenden und ist kein Alleinstellungsmerkmal beim Reisen mit Rollstuhl.
Auch in Budapest hatten wir die eine oder andere Hürde zu meistern, und gerade mit knurrendem Magen kommt noch viel schneller ein Ohnmachtsgefühl in schwierigen Situationen auf. Doch auch in Budapest haben wir (wie übrigens überall!) immer nette Menschen getroffen, die uns hilfsbereit aus der Patsche geholfen haben.

Budapest selbst ist für Rollstuhlfahrer eine Herausforderung. Der ÖPNV wird sukzessive ausgebaut und auch für Rollstuhlfahrer tauglich gemacht, bis zur einigermaßen vollständigen Rollstuhlgerechtigkeit hat die Stadt aber noch einen weiten Weg vor sich. Hinzu kommt, dass ein Großteil der Budapester Club- und Restaurantszene in Kellergebäuden residiert – ein handfester Nachteil für Rollstuhlfahrer. Pest erschien uns in großen Teilen etwas rollstuhlgerechter als Buda, doch ein Besuch dorthin lohnt allemal. Natürlich gilt überall der Grundsatz: “Andere Länder, andere Sitten” – aber die Erfahrung ist es allemal wert.

Kurz nach der Rückkehr las ich den Satz eines Rollstuhlfahrers: “Deutschland ist ein Entwicklungsland was behinderte Menschen betrifft”. Und obwohl es tatsächlich stimmt, dass wir hier auch in Deutschland noch einen weiten Weg vor uns haben, was Politik und Gesellschaft anbelangt: wer gerade aus Ungarn zurückkehrt und diesen Satz liest, merkt erst, auf welch hohem Niveau wir teilweise jammern. Natürlich ist es illegitim, sich mit Ländern zu messen, in denen es noch weniger gut funktioniert, und darauf hin die Hände in den Schoß zu legen. Aber manchmal lohnt es sich, zu verreisen, um zurückzukehren und festzustellen, wie gut wir es eigentlich bereits haben – und zu wissen, was wir noch alles bewirken müssen.

Ein Fazit zum Sziget-Festival findet ihr bei Wheelmap.org – insgesamt können wir einen Besuch dort aber uneingeschränkt empfehlen, raten aber dazu, die Anreise und den Transfer vorab sorgfältig zu klären.

2 Kommentare
  1. kathi.m sagte:

    das macht mut, vielen dank! mein mann (hoher querschnitt) und ich wollten seit seinem unfall schon lange endlich wieder verreisen, aber haben es bislang nicht gewagt. geht fliegen wirklich so problemlos? du hast mallorca und andere länder erwähnt, ist das da an den flughäfen auch so gut organisiert?? wie geht das mit toiletten an bord? kann man seinen eigenen rollstuhl auch mit an bord nehmen? und mein mann kann ja nicht laufen, geht das denn dann auch??
    sorry für die vielen fragen! vielen vielen dank schonmal!!

    lg kathi

    Antworten
    • Timo sagte:

      Hi Kathi, vielen Dank für die Blumen.
      In aller Regel läuft das recht organisiert und gut ab – gerade im Ausland teilweise sogar beinahe besser als hierzulande. An den Flughäfen Palma und Olbia (Sardinien) haben wir ebenfalls sehr gute Erfahrungen gemacht.
      Die Toiletten an Bord sind natürlich schwierig – sehr klein und beengt, keine Chance, zu zweit da reinzukommen. Ein eigener Rollstuhl an Bord ist unmöglich, einige Airlines haben aber Evac-Chairs an Bord oder laden sie zu, wenn entsprechender Bedarf angemeldet wird. Der Airport-Service wird euch damit auch zum Sitz transportieren, wenn dein Mann nicht laufen kann – alles kein Problem :)

      Antworten

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