Das Schwabenland als Rollstuhlfahrer erkunden

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Bad Urach: Marktplatz mit Fachwerkhäusern

Bad Urach: Marktplatz mit Fachwerkhäusern

Es muss nicht immer die Karibik sein: auch Deutschland hat tolle Reiseziele zu bieten. Und gerade hier, wo es im Tourismus große Bestrebungen gibt, zum Vorzeigeland für rollstuhlgerechtes Reisen zu werden, lohnt ein genauer Blick. Wir waren in der Heimat von Spätzle, Maultaschen und Mercedes unterwegs und haben uns umgesehen: wie rollstuhlgerecht ist das Schwabenland? Dafür haben wir die Landeshauptstadt Stuttgart, das Studentenrefugium Tübingen, die Textilgroßstadt Reutlingen, den einstigen Grafensitz und das heutige Heilbad Bad Urach sowie die Schwäbische Alb mit dem Rollstuhl erkundet.

Suche nach rollstuhlgerechten Unterkünften

Auf der Suche nach einer rollstuhlgerechten Unterkunft im Raum Reutlingen-Tübingen kehrte schnell Ernüchterung ein: die gängigen Suchportale boten nahezu keine Ergebnisse, in Reutlingen ist lediglich ein Business-Hotel mit einem rollstuhlgerechten Zimmer ausgezeichnet. Allerdings hat das Land Baden-Württemberg ein eigenes Tourismusportal für barrierefreies Reisen – und hierdurch stießen wir auf eine privat vermietete Ferienwohnung in meiner früheren Heimat Bad Urach (Link siehe Linksammlung).

Die Ferienwohnung

Die Ferienwohnung “Haus Collmer” (Link siehe Linksammlung, Wheelmap-Link) ist direkt am historischen Marktplatz von Bad Urach gelegen – mit einem idyllischen Hinterhof, von dem aus das Rauschen der Klostermühle deutlich vernehmbar ist. Über ein schmiedeeisernes Tor geht es zum Hinterhof und von dort ebenerdig in die Ferienwohnung, die in hübsches altes Fachwerkhaus integriert ist. Und sie ist erstaunlich geräumig: breite Türen und Flure, das Wohnzimmer mit offener Wohnküche bietet ausreichend Platz, das Schlafzimmer bietet mit Doppelbett und einem weiteren Kinderbett noch immer üppig Bewegungsspielraum. Das Bad ist komplett barrierefrei umgebaut mit großer, ebenerdig befahrbarer Dusche, Haltegriffen an Toilette und Badewanne und somit ideal für Rollstuhlfahrer.

Bad Urach

Bad Urach ist als Heilbad und Luftkurort bereits seit mehreren Jahrzehnten bekannt. Hierdurch ist zu erklären, dass die schwäbische Kleinstadt am Fuße der Schwäbischen Alb auch für Rollstuhlfahrer gut geeignet ist: etliche tausend Kurgäste und Patienten der lokalen Rehakliniken besuchen die Stadt pro Jahr. Rund um den romantischen historischen Marktplatz mit seinen Fachwerkhäusern gibt es zwar noch einige Barrieren, die Zugänglichkeit ist dennoch überdurchschnittlich. Das liegt auch nicht zuletzt an dem jüngst erbauten neuen Einkaufszentrum, das nur zwei Gehminuten vom Marktplatz gelegen ist und an dem sich die Geister scheiden: der Versuch, das Zentrum optisch in das Stadtbild zu integrieren, ist kläglich gescheitert. Des einen Leid ist aber des anderen Freud, denn alle Bereiche des EKZ am Elsachufer sind rollstuhlgerecht gestaltet, und es finden sich alle Geschäfte, die für den alltäglichen Einkauf notwendig sind.

Die Therme Bad Urach ist auf Rollstuhlfahrer eingestellt und besitzt einen Lifter, mit dem Rollstuhlfahrer in das wärmende Thermalbecken gelangen können. Doch auch im historischen Stadtkern von Bad Urach finden sich reichlich Ausflugsziele für Rollstuhlfahrer, sei es die Amanduskirche, das Stift, die einstige Residenz von Graf Eberhard V. zu Württemberg, dem Residenzschloss, oder auch die Klostermühle, die das Stadtmuseum beherbergt. Einzig die Burgruine Hohen-Urach ist für Rollstuhlfahrer schon faktisch unerreichbar und ohnehin nicht zugänglich. (Wheelmap-Suche Bad Urach)

Die Umgebung und die Schwäbische Alb

In der näheren Umgebung von Bad Urach finden sich viele Ausflugsziele, die auch für Rollstuhlfahrer attraktiv sind. Im Folgenden eine unvollständige Liste von Vorschlägen:

  • Metzingen-Glems: Umrundung des Stausees durch die Streuobstwiesen. Der Weg um den Stausee Glems ist asphaltiert, wartet allerdings – der Landschaft geschuldet – mit einigen Steigungen auf. Selbstfahrer können hier teilweise an ihre Grenzen geraten.
  • Erkenbrechtsweiler: Oberhalb von Bad Urach auf der Schwäbischen Alb gelegen bieten sich rund um Erkenbrechtsweiler mehrere rollstuhlgerechte Wanderwege mit herrlichem Blick über das Ermstal und auf die Burg Neuffen.
  • Beuren: Die Panoramatherme liegt etwa 20 Kilometer von Bad Urach entfernt am Albtrauf und bietet ihren Badegästen einen fantastischen Ausblick, klares Wetter vorausgesetzt. Auch hier ist ein Lifter vorhanden (Wheelmap-Link)
  • Gruorn: Mitten im ehemaligen Truppenübungsplatz von Münsingen liegt Gruorn, ein historisches verlassenes Dorf, das einst geräumt wurde, um dem Trupenübungsplatz den nötigen Raum zu geben. Die Zugänge sind asphaltiert, in Gruorn selbst findet sich auch eine rollstuhlgerechte Toilette.
  • Hayingen: Das Naturtheater Hayingen bietet Theatervorstellungen inmitten der Natur und ist auch mit Rollstuhl zugänglich.
  • Outletcity Metzingen: Große Marken zu reduzierten Preisen. Einst war Metzingen eine normale schwäbische Kleinstadt, doch Ende der Achtziger Jahre folgten unzählige Firmen dem Vorbild des dort ansässigen Modelabels Hugo Boss und begannen, in Metzingen Fabrikverkäufe und Outlets anzusiedeln. Mit dem damaligen Städtchen hat Metzingen heute nichts mehr gemein, zahlreiche Anwohner haben ihre Heimatstadt verlassen, um vor den Massen von Menschen im Kaufrausch zu fliehen. Doch auch hier gilt: des einen Leid – ihr wisst schon. Zitat Wikipedia: “Über 3,5 Millionen Kunden aus über 185 Nationen haben im Jahr 2012 die Outletcity Metzingen besucht.” Inzwischen laden hier an die hundert Marken in ihre Outlets ein und bieten günstige Konditionen für ausgedehnte Shopping-Touren – und das meist auch rollstuhlgerecht.
  • Waldenbuch: Hier findet sich alles rund um Ritter Sport, ein Schokoladen (Werksverkauf), ein Museum und das Schokoladencafé. Nahezu jeder Besucher wird hier mehrere Kilogramm Schokolade zum Auto schleppen – übrigens auch Rollstuhlfahrer, denn die Einrichtungen von Ritter Sport sind komplett rollstuhlgerecht.

Stuttgart

Auch die Landeshauptstadt Stuttgart ist ein lohnendes Ziel für Besucher der Region. Bei Sonnenschein laden die Königsstraße zum Bummeln und der angrenzende Schlossplatz zum Verweilen vor der Kulisse des Landtags ein. Der Zoo und botanische Park Wilhelma gehört zweifelsfrei zu den meistbesuchten Attraktionen Stuttgarts und bietet auch Rollstuhlfahrern die Gelegenheit, die meisten Einrichtungen zu besuchen. Wer lieber wandert, kann den Max-Eyth-See umrunden. Übrigens: der Stuttgarter Fernsehturm ist auch für Rollstuhlfahrer zugänglich! (war er, bis er aus Brandschutzgründen geschlossen wurde)

Reutlingen

Wer italienisches Essen liebt, sollte sich einen Besuch bei enzos Ristorante (Link siehe Linksammlung) nicht entgehen lassen: der Italiener ist direkt in Bahnhofsnähe gelegen und bietet erstklassige hochwerte Küche, besonders die Fischgerichte aus enzos Küche sind legendär. Die Stufen am Eingang sind kein Hindernis, denn es gibt einen ebenerdigen Hintereingang – einfach jemanden hineinschicken und Bescheid sagen lassen oder anrufen. Die Toiletten hingegen liegen leider im Keller. Frisch gestärkt kann so ein Bummel durch die Wilhelmstraße mit ihren meist ebenerdigen Geschäften beginnen, wobei man sich bei der Gelegenheit einen Abstecher in die Spreuerhofstraße nicht entgehen lassen sollte: mit 31 Zentimetern Breite ist sie zwar definitiv nicht rollstuhlgerecht, dafür aber im Guiness Buch der Rekorde als engste Straße der Welt ausgezeichnet. Wer es etwas ruhiger mag, kann entlang des Echazufers unter Bäumen flanieren oder den Volkspark Pomologie besuchen. Kulturprogramm bietet das Theater in der Tonne – auf Anmeldung am Standort Markplatz auch für Rollstuhlfahrer (Link siehe Linksammlung). Am Abend lohnt eine Fahrt auf die Achalm, von wo sich ein wunderbarer Ausblick über Reutlingen und das Neckartal Richtung Tübingen bietet.

Tübingen

Die Tübinger Altstadt ist eine echte Herausforderung für Rollstuhlfahrer – steil winden sich die Kopfsteinpflastergassen am Hang entlang. Belohnt werden Besucher für ihre Mühen mit einer wunderschönen historischen Altstadt. Unterhalb des Nonnenhauses finden sich Cafés, die etwas weniger von Touristen bevölkert sind, anschließend kann es auf zu einem Spaziergang durch den Alten Botanischen Garten gehen. Den Tag ausklingen lassen ist einfach – direkt am Neckar bei Neckarmüller, einem Biergarten mit eigener Hausbrauerei (Link siehe Linksammlung).

Fazit

Die Bestrebungen in Baden-Württemberg, sich für Rollstuhlfahrer attraktiv zu machen, sind erkennbar. Natürlich gibt es auch hier zahlreiche Hürden und Hindernisse, die teils durch die Natur geschaffen, teils durch Denkmalschutz und andere Umstände entstanden sind. Doch auch wenn es für die Beauftragten für Barrierefreiheit auch hier noch viel zu tun gibt, lohnt ein Besuch in jedem Fall.

Linksammlung

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