Mit dem Rollstuhl an die Côte d’Azur
Reisen mit Rollstuhl birgt häufig einige Erschwernisse und erfordert ein wenig Mehrplanung. Anders als im geregelten Alltag ist hier nicht alles planbar. Die Macher von Mobilista.eu verreisen dennoch gerne und haben nun eine Perle Frankreichs erkundet: Wie rollstuhlgerecht ist die Côte d’Azur? Lässt es sich in Nizza, Cannes, Monaco oder in der Provence mit dem Rollstuhl Urlaub machen? Ein Reisebericht.
Unser Abflug an die Côte d’Azur erfolgte über den Flughafen Berlin-Schönefeld (SXF), den wir inzwischen recht gut kennen. Und obwohl viele Gebäudeteile hoffnungslos veraltet sind und das Gesamtbild des Flughafens wenig imposant ist, ist Schönefeld mit dem Rollstuhl im Prinzip kein Problem. Der Airport-Service begleitete uns nach dem Check-In und kurzer Wartezeit an den Warteschlangen vorbei direkt zur Sicherheitskontrolle. Neben einem Wischtest am Beatmungsgerät, mit dem undurchleuchtbare Technik auf Sprengstoff untersucht wird, kam dieses Mal auch das Sitzkissen meiner Partnerin ins Visier – was an sich auch verständlich ist. Nach einem weiteren Aufenthalt im Wartebereich begann schließlich das Boarding, diesmal über die Gangway mit einem EvacChair – obwohl Schönefeld eigentlich auch einen Ambulift besitzt…
Einen Bilderbuch-Start und zwei Stunden weiteren ruhigen und entspannten Fluges später landeten wir schließlich abends nach einem wunderschönen Ausblick auf die dunkle, von mondän erleuchteten Orten wie Cannes durchbrochene Küste in Nizza. Stressfrei über den Finger gingen wir von Bord, schnappten uns unser Gepäck und marschierten los Richtung Mietwagen-Terminal. Und wurden angenehm überrascht: am Flughafen Nizza ist praktisch alles rollstuhlgerecht, der Weg vom Terminal zu den Mietwagen ist völlig eben und kurz, und kleine Servicestationen stehen an verschiedenen Stellen, an denen sich Rollstuhlfahrer Hilfe rufen können.
Kurz darauf hatten wir unseren gewünschten Mietwagen – einen Citröen Berlingo, den ich mit Hinweis auf den wegen des Rollstuhls benötigten Kofferraum mit hoher Priorität gebucht habe. Wir machten uns also auf den Weg nach Antibes, wo sich unser Appart’Hotel befand. Trotz des späten Abends hatten wir keine Probleme, es zu finden, bekamen umgehend unser Zimmer und wurden auch hier nicht negativ überrascht. Zwar hatten wir kein rollstuhlgerechtes Appartement, weil dies ausschließlich in den deutlich höherpreisigen und eben auch doppelt so großen Appartements realisierbar ist, aber wie bereits vorher vom Hotel versichert sind alle Zimmer ebenerdig zugänglich, alle Etagen auch mit dem Fahrstuhl erreichbar und das Hotel so mit dem Rollstuhl völlig unproblematisch.
Antibes
Eine Stadt zwischen Nizza und Cannes, die wohl stark gewachsen ist in den letzten Jahrzehnten, mit einem wunderschönen historischen Stadtkern direkt am Meeresufer. Und auch hier ist es der Stadt gelungen, immerhin für eine funktionierende Infrastruktur für Rollstuhlfahrer zu sorgen – die Wege sind breit und eben, und öffentliche Einrichtungen sind in Frankreich aufgrund eines Gleichstellungsgesetzes von 2005 fast immer mit dem Rollstuhl erreichbar.
Aber dazu später mehr.
Èze, La Turbie, Grande Corniche de la Riveria
Die Corniches de la Riviera bestehen aus drei Straßen, die entlang der Küste zwischen Nizza und Monaco verlaufen. Die Grande Corniche ist die Höchste der drei, die sich kurvig-verwunden durch das Gebirge schlängelt und einen unglaublichen Ausblick auf die Küste vor Nizza und Monaco bietet. Die malerischen Bergdörfchen entlang der Strecke, unter anderem Èze und La Turbie, laden zu Pausen ein. Da sie im Gebirge liegen, sind sie naturgemäß nur bedingt und mit Anstrengungen mit dem Rollstuhl zu besichtigen – einen Ausflug lohnen diese Örtchen aber allemal. Die Aussichtsplattform von La Turbie bietet laut Beschilderung einen eigenen rollstuhlgeeigneten Zugang an – war aber ausgerechnet Montags leider geschlossen. Das malerische Örtchen Beaulieu-sur-mer hingegen, das knapp vor Nizza an der Küste liegt, ist erstaunlich gut rollstuhltauglich ausgebaut.
Biot, Valbonne, Grasse, Mougins
Wieder eine Tour durch die Berge, diesmal über den provencalischen Wochenmarkt von Biot, wo Händler allerlei Waren aus Manufaktur in der Provence anbieten. Viele der Geschäfte selbst sind mit dem Rollstuhl nicht zugänglich. Die Verrerie de Biot, eine der weltbekanntesten Glasbläsereien, deren Markenzeichen die eingeschlossenen Luftblasen im Glas darstellen, ist hingegen vollkommen rollstuhlgerecht: ebenerdiger Zugang zur Ausstellung, zur gläsernen Produktion, sowie zum Fabrikverkauf. Valbonne, ein unglaublich hübsches Bergdorf, ist für seine steile Hanglage erstaunlich rollstuhlgerecht. Auch hier wurde die Mitte des Kopfsteinpflasters mit ebenen Ziegeln neu gepflastert, sodass Besucher mit Rollstuhl, Kinderwagen, Rollator oder hochhackigen Schuhen zumindest an den Hauptwegen keine Probleme haben. Erstaunlich positiv auch ein Käselädchen namens “365 Fromages”: obwohl es nur eine sehr kleine Schwelle am Eingang besitzt, gibt es außen eine Klingel und einen Hinweis auf eine Rollstuhlrampe!
Grasse, ein provencalischer Ort, der insbesondere für seine Parfumfabriken bekannt ist (u.a. Fragonard, Molinard, Galimard), war das nächste Ziel. Nach einigen Irrfahrten landeten wir in der Fabrik von Molinard, kamen vom Parkplatz dank Rampe problemlos bis zum Eingang und wurden nach kurzem Nachfragen vorbei an den beiden Stufen zum ebenerdigen Nebeneingang gelotst. Die Besichtigung, die uns direkt angeboten wurde, war ebenfalls völlig rollstuhlgerecht und nur zu empfehlen…
Mougins ist hingegen ein Örtchen nahe der Küste, allerdings extrem steil. Es besteht im Wesentlichen aus edlen Restaurants, in denen regelmäßig die Prominenz von Cannes verkehrt, sowie aus Ateliers. Steile, enge und verwinkelte Gassen prägen das pittoreske Bild von Mougins, für Rollstuhlfahrer wird dieser Ausflug allerdings recht kräftezehrend.
Cannes
Hier haben wir ein wahres Eldorado für Rollstuhlfahrer vorgefunden. Cannes ist zumindest entlang der Promenaden und der Shoppingmeilen sehr rollstuhlgerecht – ebene, gepflegte Wege, traumhaft schöne Kulissen, und bereits bei den Vorrecherchen hat uns der Hinweis auf einen “Handiplage” neugierig gemacht: ein Strand für Rollstuhlfahrer? Wir haben ihn uns angesehen und wurden fündig – allerdings war aufgrund des Ende der Badesaison kein Service mehr vor Ort, und alle beweglichen Einrichtungen waren bereits abgebaut und winterfest gemacht. Das übrigens ist völlig in Ordnung Ende Oktober – da beginnen im Mittelmeerraum die Winterstürme, die sonst das Material zu stark in Mitleidenschaft ziehen würden. Überall wurden auch bereits die Strände zu Deichen aufgeschoben… aber zurück zum Handiplage: gut ausgeschildert wurden wir fündig. Zahlreiche Behindertenparkplätze und große Wegweiser sowie eine asphaltierte Rampe über den Strand bis ans Wasser machten deutlich: wir sind am Ziel. Handiplage ist ein französisches Dienstleistungslabel, das mittlerweile an zahllosen Orten von Frankreich rollstuhlgerechte Strände eingerichtet hat – von der Vermietung von Strandrollstühlen über Rampen an und ins Wasser bis hin zu Bohlenwegen über den Strand gibt es hier alles. Auch ein rollstuhlgerechtes WC findet sich direkt am Strand, Servicepersonal ist ebenfalls vorhanden – ein Paradies! Wir fanden zumindest die Plattform für die Service-Buden, das WC, sowie eine Rampe ans Wasser und eine weitere, gummierte Stahlrampe direkt ins Meer vor. Siehe die Galerie:
Auch die Rue d’Antibes, eine der Einkaufs-Flaniermeilen mit teuren Boutiquen und Labels in allen Läden, präsentierte sich überdurchschnittlich rollstuhltauglich – die Pariser Edel-Confisserie Ladurée sorgte sogar nochmals für Erstaunen bei uns, denn dort fand sich auf der Eingangsstufe eine eingebaute Rampe zum Ausklappen!
Monaco, Menton
Auch im Stadtstaat Monaco gibt es erwartungsgemäß wenig Probleme mit dem Rollstuhl. Die Bemühungen, trotz der extremen Steigungen gerade in den Touristenmagneten Monte Carlo und La Condamine auch Rollstuhlfahrern den Besuch zu ermöglichen, sind erkennbar – und anders als im umliegenden Frankreich finden sich hier (wohl auch aufgrund der immensen Polizei-Präsenz) einige freie Behindertenparkplätze. An manchen Orten lassen sich die Steigungen durch Fahrstühle (die dann über 10 Etagen von der einen Straße zum nächsten Boulevard führen) bewältigen, viele Einrichtungen sind ebenerdig zugänglich, und ansonsten herrscht hier große Kulanz gegenüber Rollstuhlfahrern. Den exotischen Garten, den Jardin Exotique de Monaco, durften wir sogar beide kostenlos besichtigen – denn hier ist nur das obere Plateau rollstuhlgerecht. Einige Wege wären zwar noch mit dem Rollstuhl befahrbar, sind aber aufgrund der Tatsache, dass der Garten direkt am Steilhang gebaut wurde, praktisch nicht nutzbar. Selbst mir als Schieber, der selbst in Bergen keine Probleme hat, waren diese Wege dann doch zu steil und zu riskant. Macht aber nichts, vom Plateau aus hat man ohnehin bereits das meiste gesehen und einen traumhaften Ausblick über Monaco!
In der Abenddämmerung ging es weiter nach Menton – dem letzten französischen Ort vor der italienischen Grenze, auch lange unter italienischer Vorherrschaft gewesen. Ebenfalls erstaunlich rollstuhlgerecht, auch wenn der Aussichtsturm nur über Treppen erreichbar ist – aber dafür ein sagenhaft malerischer Ort mit unterschiedlichen Häusern in verschiedensten Pastelltönen, eine traumhafte Kulisse in der Abenddämmerung über die Küste, und ein bezaubend-mediterranes Flair machten das locker wett.
Nizza
Die letzte unserer Etappen vor dem Heimflug war Nizza. Auch hier sollten uns einige Überraschungen erwarten: insgesamt lässt sich auch Nizza durchgehend als recht rollstuhlgerecht bezeichnen, zumindest nahe der Promenade. Einige Kirchen waren gerade nicht zugänglich, und der Blick auf die Aussichtsplattform in Hafennähe auf einem irrsinnig steilen Berg machte uns bereits wehmütig – keine Chance. Dafür erwartete uns in der Confisserie Florian eine Überraschung: der Verkaufsraum im Obergeschoss ist rollstuhlgerecht?! Ist er: nämlich über die Seitenstraße, die nach oben führt und von der aus eine Rampe direkt ins Gebäude führt. Und auf dem Rückweg erlebten wir noch eine Überraschung: wir entdeckten einen Fahrstuhl zur Aussichtsplattform! Tatsächlich wurde dort einst im Mittelalter ein schier unmögliches Unterfangen gestartet: der Herr der oben gelegenen Burg (deren Überreste heute noch von Archäologen ausgegraben werden) ließ einen Brunnen zur Küste errichten. Und irgendwann entschloss sich die Verwaltung von Nizza, den nicht mehr benötigten Brunnen als Fahrstuhlschaft für zwei ausreichend große Fahrstühle zu nutzen – und zumindest in der Nebensaison ist der sogar auch noch kostenlos. Die Wartezeit und die Fahrt lohnen sich: der Ausblick über die Dächer Nizzas und das umliegende Land ist atemberaubend – und für die meisten Rollstuhlfahrer vermutlich auch ein eher seltenes Erlebnis.
Behindertenparkplätze in Frankreich
[singlepic id=1 w=320 h=240 float=left]Negativ stellte sich hingegen die Situation der Rollstuhlparkplätze dar. Nicht, dass es daran an der Côte d’Azur mangeln würde, und das europäische Ausweismodell, das auch in Deutschland ausgegeben wird, hat hier Gültigkeit. Aufgrund der generell extremen Parkraumnot an der Côte d’Azur ist es unglaublich schwer, einen Rollstuhlparkplatz zu finden, der nicht bereits belegt ist. Erstaunlich daran: fast alle Parker hatten (wohl auch aufgrund der drakonischen Geldbuße von 135 Euro in Frankreich bei Falschparken auf dem Rollstuhlparkplatz) einen Parkausweis ausliegen. In einigen Fällen fragten wir uns allerdings ernsthaft, ob es sich bei dem Ausweis für den jungen Fahrer eines sportlichen Kleinwagens, der schwungvoll aussteigt und joggen geht, nicht eher um den Ausweis der Großmutter handelte – und derartige Beobachtungen machten wir durchaus öfter. Konkrete Zahlen waren bisher nicht in Erfahrung zu bringen, aber die Woche an der Côte d’Azur und die unzähligen Suchen nach einem Rollstuhlparkplatz ließen in uns den Eindruck aufkommen, dass der Missbrauch von Parkausweisen dort nicht ganz niedrig ist.
Fazit
Die Bestrebungen, das französische Gleichstellungsgesetz von 2005 durchzusetzen, sind deutlich erkennbar. Natürlich gibt es nach wie vor einige Probleme für Rollstuhlfahrer auch an der Côte d’Azur, aber hier wird einiges geleistet, um Urlaubern im Rollstuhl den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Euro-Schlüssel an öffentlichen Toiletten gibt es zwar nicht oder allenfalls an Autobahnen, dafür sind viele öffentliche Toiletten an der Côte d’Azur rollstuhlgerecht. Vergünstigungen gibt es zumindest mit dem deutschen Schwerbehindertenausweis kaum, was wohl mit daran liegt, dass es bis dato kein europäisches Modell gibt und keine EU-Regelung für eben solche Vergünstigungen im Rahmen des Nachteilsausgleichs. Der Parkausweis ist hier natürlich ebenfalls gültig, unterliegt aber jeweils nationalen Regeln. In erster Linie berechtigt er international ausschließlich zum Parken auf Schwerbehindertenparkplätzen – alles weitere regelt das Länderrecht. Die Lebenshaltungskosten sind natürlich an der Côte d’Azur deutlich höher als in Deutschland, die Qualität aber gerade bei Lebensmitteln auch wesentlich besser. Wer ein Reiseziel mit dem Rollstuhl sucht, an dem er wenige Einschränkungen vorfindet, der sollte sich die Côte d’Azur ruhig einmal näher ansehen – allerdings auch mit recht hohen Kosten rechnen.
Links
Übersicht über Handiplage-Strände in Frankreich: Link
Myd’l – Französische Gesellschaft, die Rampen und dergleichen liefert: Link
Odalys Appart’hotel Antibes: Link
Glasbläserei Verrerie Biot: Link
Parfumeurs Molinard Grasse: Link
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