Bilanz der ITB: Wie steht es um barrierefreies Reisen?

Flugzeug im Landeanflug

Flugzeug im LandeanflugDie ITB 2014 hat ihre Pforten geschlossen. Mobilista.eu war vor Ort, hat interessante Gespräche geführt und sich vor allem die Frage gestellt: wie steht es um barrierefreien Tourismus? Wird es für Menschen mit Behinderungen einfacher, zu verreisen? Hat der derzeitige Trend hin zu barrierefreien Angeboten auch die Tourismus-Branche erreicht? Welche Transportwege stehen beispielsweise Rollstuhlfahrern offen? Die Antworten auf diese Fragen fallen, soviel sei vorweggenommen, gemischt aus. Ein Versuch, die weltgrößte Tourismus-Messe aus der Sicht von Menschen mit Behinderungen zusammenzufassen.

Rollstuhlfahrer haben einige Hürden vor sich, wenn sie eine Reise planen. Von der Suche über ein geeignetes Reiseziel über die Recherche rollstuhlgerechter Unterkünfte bis hin zur Wahl des Transportmittels müssen einige Besonderheiten berücksichtigt werden. Dasselbe gilt auch für sehgeschädigte Menschen. Es gibt inzwischen eine Reihe von Reiseveranstaltern, die sich auf ausgewählte Reiseangebote für Menschen mit Behinderungen spezialisiert haben, die Auswahl der verfügbaren Destinationen ist dabei aber nach wie vor überschaubar.

Auf der ITB hat Mobilista.eu Eindrücke gesammelt, ob Barrierefreiheit auch im Massentourismus angekommen ist. Dabei verlief schon die Planung im Vorfeld wenig Erfolg versprechend – im Ausstellerverzeichnis fanden sich nicht einmal eine Handvoll Anbieter im Segment “Barrierefreier Tourismus”. Positiv überrascht waren wir dagegen, dass die Messe Berlin inzwischen für die ITB einen gesonderten Geländeplan für Rollstuhlfahrer vorhält, der nicht nur rollstuhlgerechte Ein- und Übergänge ausweist, sondern auch Fahrstühle und Toiletten. Wer das Labyrinth der Berliner Messe kennt, wird ahnen, wie hilfreich dieser Zusatzplan ist.

Nachfragen bei Tourismus-Verbänden

Mobilista.eu hat stichprobenartig auf der Suche nach einem geeigneten Reiseziel für Rollstuhlfahrer an einigen Ständen von Landesvertretungen nachgefragt: Wie geeignet halten Sie das Land, das Sie vertreten, für Rollstuhlfahrer? Die Antworten fielen sehr gemischt aus. Von manchen Reisezielen wurde uns zurückhaltend pauschal abgeraten, andere Vertreter gaben sich sehr bedeckt und mochten sich nicht festlegen, nur wenige Repräsentanten wussten eine konkrete Antwort auf diese Frage und bejahten die Eignung ihres Landes oder ihrer Region für Rollstuhlfahrer.

Bewusst war uns hierbei natürlich, dass diese Frage so pauschal auch kaum zu beantworten ist, müssen dabei sowohl die Infrastruktur als auch die Topographie und das Angebot der Hoteliers vor Ort berücksichtigt werden. Überraschend dagegen ist, dass diese Frage tatsächlich offenbar so viele Repräsentanten völlig unvorbereitet getroffen hat – in sehr vielen Ländern, sowohl in Europa als auch in Afrika und den USA scheint das Thema Barrierefreiheit im Massentourismus bis heute nicht angekommen zu sein.

So unterschiedlich die Reaktionen ausfielen, so unterschiedlich waren auch die individuellen Antworten. Am Stand der Canaren beispielsweise wurden wir nach einiger Wartezeit, während sich die Vertreter berieten, anschließend an eine Hotelgruppe am Stand gegenüber weitergeschickt, als wir nach barrierefreien Hotelangeboten fragten. Eines haben aber alle Repräsentanten gemeinsam: proaktiv wurden wir von keinem Tourismusverband angesprochen, auch gezielte Informationen zu barrierefreien Reisen waren dort nicht zu finden. Die einzigen Ausnahmen fanden sich tatsächlich an Ständen deutscher Tourismusverbände.

Nachfragen bei Destinationen

Nachdem unsere Recherchen bei Tourismusverbänden eher unzufriedenstellend verliefen, suchten wir die Vertreter von Hotels, Ressorts und Reiseveranstaltern auf. Hier gab es tatsächlich einige konkrete Hilfen auch für Menschen mit Behinderungen, die das Thema Reisen vereinfachen. Einige internationale Hotelgruppen weisen in ihren Katalogen Einrichtungen mit der Zahl ihrer rollstuhlgerechten Hotelzimmer aus, von der Vertreterin einer Destination wurden wir gezielt angesprochen und auf ein durchaus attraktives Angebot aufmerksam gemacht: das Hotel Dolphin Suites auf der Karibikinsel Curaçao – es ist vollständig rollstuhlgerecht und ermöglicht Rollstuhlfahrern durch die Zusammenarbeit mit dem Sea Aquarium Curaçao unter anderem sogar Delphintherapie und Tauchgänge mit Tauchglocken.

Auf deutscher Seite informierten die AG Barrierefreie Reiseziele in Deutschland e.V., visitBerlin, die Stadt Ueckermünde sowie der Rollisegler, die Wappen von Ueckermünde, über barrierefreie Reiseziele in Deutschland.

ADAC-Postbus im Sitztest – auch mit Rollstuhl

Geöffnete Vordertür am ADAC-Postbus mit Rollstuhl

Rollstuhlbereich im ADAC-Postbus

Ein echter Besuchermagnet war der ADAC-Postbus auf dem Freigelände – einem der wenigen Fernbusse in Deutschland, die auch für Rollstuhlfahrer zugänglich sind (zumindest auf ausgewählten Strecken – siehe ADAC-Postbus-Artikel). Die Betreiber haben sich zum Start trotz der noch unklaren gesetzlichen Grundlage und der noch laufenden Gespräche zwischen Behindertenverbänden, Fernbus-Anbietern und der Industrie dazu entschlossen, einen ersten Feldversuch zu starten und auf der Strecke Berlin-Hamburg rollstuhlgerechte Busse einzusetzen.

Schnell wurde hier klar: es handelt sich um ein Provisorium. Aber um einen wichtigen ersten Schritt – inzwischen haben auch andere Anbieter nachgezogen. Über eine einfache Faltrampe nimmt der Rollstuhlfahrer an exponierter Stelle mit Panorama-Blick vorne neben dem Fahrer Platz und wird mit Mehrpunktgurten gesichert, für Begleitpersonen und gehbehinderte Menschen gibt es hinter dem Fahrer drei Sitzplätze.

ADAC Postbus mit ausgefahrener Rollstuhlrampe

Foto: Deutsche Post DHL

Die restlichen Sitzplätze sind im Oberdeck der eingesetzten Van Hool-Busse angesiedelt, ebenso wie die Toilette. Für Rollstuhlfahrer wird im Bedarfsfall ein Parkplatz mit rollstuhlgerechter Toilette angesteuert – dafür wurde aber sogar beim Entertainmentsystem des Busses an Rollstuhlfahrer gedacht und ein Display im Sichtbereich montiert. Andere Fahrgäste können über WLAN das Tablet oder Notebook an Bord verbinden und während der Fahrt Filme und andere Inhalte ansehen.

Die Vertreter räumten ein, dass es sich dabei um keine endgültige Lösung handeln kann und die Resonanz auch unterschiedlich ausfiel. Probleme bereiten dabei auch rechtliche Aspekte wie die persönliche Haftung des Busfahrers, die unklare gesetzliche Vorgabe sowie die Tatsache, dass die gesamte Last allein auf den Schultern der Streckenanbieter ruht. Doch jede Reise beginnt bekanntermaßen mit einem ersten Schritt – und dieser wäre getan. Bevor wir hiermit aber unseren gesamten Messebericht abschließen (obwohl diese Feststellung durchaus auf viele Bereiche übertragbar wäre), folgt der zweite Programmtag der ITB:

Tag des barrierefreien Tourismus auf der ITB

Auch 2014 hat die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) in Zusammenarbeit mit der Nationalen Koordinierungsstelle “Tourismus für Alle” (NatKo) zum Tag des barrierefreien Tourismus geladen. Während der Podiumsdiskussion zwischen Vertretern verschiedener Bundesländer, der NatKo und Reiseanbietern wurde auch in diesem Jahr nochmals deutlich, dass der Markt barrierefreier Reiseangebote großes Potential bietet – aber noch längst nicht weit genug ausgebaut ist.

Auch in Deutschland, das sich in Sachen barrierefreier Destinationen im weltweiten Vergleich durchaus nicht zu verstecken braucht, gibt es noch zahllose Städte, in denen Hotels über zuwenige rollstuhlgerechte Hotelzimmer verfügen, auch die Transportsituation ist längst noch nicht zufriedenstellend gelöst. Insbesondere die Frage, wie für Betreiber Anreize für eine barrierefreie Gestaltung geschaffen werden könnten, wurde nicht zufriedenstellend gelöst – abgesehen von gesetzlichen Vorgaben tauchten keine neuen Antworten auf. Durch Initiativen wie “Reisen für alle” ist das Thema Barrierefreiheit zwar immerhin bei Reiseveranstaltern und Destinationen präsent, Reisen mit dem Rollstuhl ist aber nach wie vor nicht ohne Vorplanungen und dennoch auftretende Schwierigkeiten möglich.

Fazit

Wir haben einige Gespräche geführt und insgesamt vergleichsweise wenige Antworten erhalten. Es ist erfreulich, dass langsam zwar ein gewisser Aufbruch zu beobachten ist – darauf ausruhen darf sich allerdings noch lange niemand. Bis Reisen mit Rollstuhl – ebenso wie mit jeder anderen Behinderung – zu einem Selbstverständnis geworden ist und Mobilität wirklich für alle garantiert ist, wird noch einige Zeit vergehen, viel Lobbyarbeit bleibt zu leisten und manch dickes Brett zu bohren.

Wir bedanken uns bei allen Gesprächspartnern, die einen interessanten Austausch, neue Impulse und mögliche neue Kooperationen ermöglicht haben – bei Fahrtenfuchs.de, bei der AG Barrierefreie Reiseziele in Deutschland, bei ADAC-Postbus, und den vielen anderen Gesprächspartnern – sowie bei der Messe Berlin für die Akkreditierung von Mobilista.eu. Und: wir freuen uns aufs nächste Jahr!

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