Pulsoxymeter: Fingerpulsoxy oder Standardgerät?

Finger-Pulsoxymeter, Symbolbild
Finger-Pulsoxymeter, Symbolbild

Symbolfoto: 园野/flickr.com (cc by-sa 2.0)

Üblicherweise befasst sich Mobilista.eu vorwiegend mit dem Themenbereich Mobilität und Reisen für Menschen mit Behinderungen. Da aber auch Alltagsthemen abseits dieser Sparten aufgegriffen werden sollen, hier ein kleiner Exkurs in die Lungenmedizin und deren Messmethoden – nämlich die Pulsoxymetrie oder Pulsoximetrie. Einst eine nicht-invasive Messmethode der Anästhesie, Notfallmedizin und der Beatmungsmedizin, erfuhr die Pulsoxymetrie zunehmend auch Interesse seitens der Leistungssportler. Der Markt reagierte, und inzwischen wimmelt es vor günstiger Geräte, die häufig als Fingerpulsoxymeter ausgeführt sind. Doch die Preisspanne von 25 bis 1.000 Euro sollte stutzig machen – und auch unsere wiederholten Erfahrungen mit katastrophalen Fehlmessungen bei Fingerpulxymetern haben mich zu diesem Erfahrungsbericht genötigt. Was taugen Fingerpulsoximeter also?

  1. Medizinische Grundlagen und Einsatzgebiete
  2. Marktübersicht
  3. Erfahrungsbericht
  4. Verordnungsfähigkeit von Pulsoxymetern
  5. Fazit

1. Medizinische Grundlagen

Pulsoxymetrie/Pulsoximetrie ist ein nicht-invasives Verfahren, das mittels Infrarotwellen durch die Haut den Anteil des mit Sauerstoff beladenen Hämoglobins im Blutkreislauf misst. Es dient zur Bestimmung der partiellen Sauerstoffsättigung (SpO2) und meist auch der Pulsfrequenz. Aus dem SpO2-Wert lassen sich ergänzende Rückschlüsse über die Atmung und den Kreislauf ziehen – ergänzend deshalb, weil Pulsoxymetrie grundsätzlich einige Fehlerquellen aufweist und so immer der Gesamteindruck des Patienten (Bewusstseinsgrad, Hautkolorit, Atmung) mit in die Beurteilung einfließen muss.

Ein gesunder Patient weist in Ruhe im Normalfall einen SpO2-Wert von 97-100% auf. Sinken die SpO2-Werte, lässt sich nach Ausschluss von Fehlerquellen auf eine Behinderung der Atmung durch pathologische Veränderungen, Sekret in den Lungen, eine Störung bei der Aufnahme von Sauerstoff durch das Blut oder auf Kreislaufstörungen schließen.

Ein kurzzeitiges Absinken des SpO2 auf Werte bis etwa 91% kann der Körper meist bei schneller Therapie (Sauerstoffgabe, Freimachen der Atemwege, Kreislaufunterstützung) relativ gut kompensieren, bei Werten unter 90% wird der Patient meist bereits in einem sehr schlechten Allgemeinzustand sein – der Allgemeinzustand nimmt, vereinfacht ausgedrückt, nicht linear, sondern logarithmisch zum SpO2 ab, sodass ein SpO2 von unter 85% meist sofortiges Handeln durch Notfallmediziner erfordert.

Die Messergebnisse von Pulsoxymetern können insbesondere durch schwache periphere Durchblutung, beispielsweise im Schock oder durch kalte Finger, durch Nagellack oder künstliche Fingernägel, durch eine Kohlenmonoxidvergiftung, durch Stöße während der Messung oder durch von der Norm abweichende Hämoglobinwerte beeinflusst werden. Daher ist wiederholt zu betonen: der Gesamteindruck des Patienten steht grundsätzlich über dem Messergebnis!

Als invasive Alternative zur Pulsoxymetrie kommt die Blutgasanalyse (BGA) in Betracht, bei der kapillares Blut aus dem Ohrläppchen entnommen und auf die Konzentration unterschiedlicher Gase im Blut analysiert wird. Seit einigen Jahren ist die BGA auch mittels tragbarer kompakter Einheiten möglich, während früher wesentlich größere Messgeräte in Laboren und Kliniken zum Einsatz kamen. Die BGA ist für Laien allerdings ungeeignet und zu kostenintensiv – sie erfolgt mobil entweder durch einen Notarzt, die in einigen Landkreisen auf Notarzteinsatzfahrzeugen und Rettungshubschraubern inzwischen in positiv verlaufenden Feldversuchen mit BGA-Einheiten ausgestattet sind, oder durch Pflegedienste, die auf die Betreuung heimbeatmeter Patienten spezialisiert sind.

Pulsoximetrie wird zu Hause insbesondere bei heimbeatmeten oder lungenkranken Patienten eingesetzt, ebenso wie bei Kindern mit bestimmten chronischen Erkrankungen. Sie lässt eine schnelle Diagnose des SpO2 in der Akutsituation zu und erlaubt so, gerade beispielsweise bei Bronchialinfekten, die grobe Beurteilung der Sauerstoffversorgung. In der Notfallmedizin wird die Pulsoximetrie grundsätzlich als Standard-Messmethode neben der Überwachung von Puls, der Blutdruckmessung und dem EKG genutzt.

2. Marktübersicht

Der Markt der Pulsoxymeter hat sich wie eingangs bereits beschrieben in den vergangenen zehn Jahren drastisch gewandelt: gab es um das Jahr 2000 herum nur wenige tragbare Geräte von zwei oder drei Herstellern, werden Pulsoxys aufgrund der sinkenden Produktionskosten für Elektronik als Massenware aus Fernost auf den Markt geworfen. Viele der neueren Geräte bestechen insbesondere durch ihre immer kleineren Gehäuse – inzwischen sind auch Fingerpulsoxymeter erhältlich, die im wesentlichen aus einer Messeinheit mit Infrarot-Leuchten und einem aufgebauten Display bestehen und einfach auf die Fingerspitze gesteckt werden, doch auch Handgeräte mit externen Sensoren (Fingerclip, Ohrclip oder Fußclip) sind inzwischen in zahllosen Shops erhältlich. Insbesondere Leistungssportler überwachen heute abseits des pneumologischen Bereichs ihre Sauerstoffsättigung, um optimale Trainingsergebnisse zu erzielen.

Einige Patienten verfügen auch über sogenannte Bedside-Monitore: deutlich größere Pulsoxy-Einheiten, die neben dem Patientenbett stehen und oft nur über einen Steckdosenanschluss und einen eingebauten Akku zur Überbrückung von Stromausfällen verfügen. Solche Monitore verfügen im Regelfall über vielfältiger einstellbare Alarme als Handgeräte und bieten bessere Auswertungsmöglichkeiten und Trendprotokolle.

3. Erfahrungsbericht mit Fingerpulsoxy – ein Vergleich

Reale Messdiskrepanz: Finger-Pulsoxymeter vs. Nellcor NPB-40. Foto: T. Hermann

Reale Messdiskrepanz: Finger-Pulsoxymeter vs. Nellcor NPB-40. Foto: T. Hermann

Seit geraumer Zeit rückt bei uns im Monatsintervall ein Pflegedienst an, der die Beatmung kontrolliert – mit einem Fingerpulsoxymeter im Gepäck. Wir selbst besitzen ein professionelles und wesentlich teureres Pulsoxymeter und konnten so stets die abgelesenen Werte kontrollieren. Gesichert durch die regelmäßige Blutgasanalyse (BGA) lässt sich somit ein qualifiziertes Einzelergebnis über die Messung mit dem Fingerpulsoymeter festhalten. Dabei handelt es sich nicht um eine medizinische Studie, sondern um einen Einzelfallbericht, der aber manchen Leser ins Nachdenken bringen soll.

Testperson: meine Partnerin, 26 Jahre, zierlich gebaut. Und stets kalte Finger. Blutdruck meist im für Frauen normalen Bereich.
Das Fingerpulsoxy hat bei ihr in den vergangenen 12 Monaten so gut wie nie plausible Messergebnisse geliefert – meist lag die ermittelte Sättigung zwischen 85 und 90%. Die Gegenkontrolle mit unserem Gerät, einem Nellcor NPB-40, hingegen lieferte stets Sättigungen zwischen 96 und 98% – grob übereinstimmend war hingegen meist die ermittelte Herzfrequenz. Das Fingerpulsoxymeter hat also zwar durchaus den Puls erfasst, die Messgenauigkeit hinsichtlich des Hämoglobins ist aber katastrophal falsch – jedes Mal. Die BGA stützte jedes Mal das Ergebnis unseres Messgeräts von Nellcor.

Hierbei muss aber anerkannt werden: bei anderen Patienten hat besagter Pflegedienst deutlich weniger Probleme bei der Messung mit dem Fingerpulsoxymeter. In unserem Falle aber hat das Billiggerät noch nie (!) auch nur ein annähernd richtiges Ergebnis ausgepuckt, trotz Ausschluss aller gängigen Fehlerquellen und Referenzmessungen. Hätten wir kein eigenes Gerät, würde unser Pflegedienst tatsächlich in erhebliche Probleme bei der Routinediagnose geraten.

4. Verordnungsfähigkeit von Pulsoxymetern

Pulsoxymeter werden nur in Ausnahmefällen von den Krankenkassen bezahlt. Der Spitzenverband der Krankenkassen schreibt zu den Indikationen von Pulsoxymetrie:

Pulsoximeter mit Speicher können bei ausgesuchten Indikationen zum Einsatz kommen, wenn die Erfordernis besteht, umfassende Informationen über die Qualität und Effektivität einer häuslichen Behandlung von Atemstörungen zu erfassen und die-se Hinweise nicht auf andere Art und Weise erhoben werden können, um die Therapie adäquat an die jeweiligen Verhältnisse anpassen zu können.

 

Undine-Syndrom

Eine pulsoximetrische Überwachung von Patienten mit Undine-Syndrom kann im häuslichen Umfeld Rahmen eines umfassenden interdisziplinären Behandlungskonzeptes erforderlich sein. Die Pulsoximetrie kann nicht eine engmaschige und fachlich qualifizierte personelle Verlaufskontrolle mit Pflege und Beatmungsprotokoll ersetzten. Eine sorgfältige gesamtsituative ärztliche Überprüfung des Einzelfalles ist erforderlich.

 

Bronchopulmonale Dysplasie bei Kindern

Die Pulsoximetrie von Kindern mit bronchopulmonaler Dysplasie im häuslichen Umfeld kann eine engmaschige und fachlich qualifizierte ärztliche Verlaufskontrolle mit regelmäßiger Statuserhebung nicht ersetzen. Ggf. kann die Pulsoximetrie aber im häuslichen Umfeld zu einer wirtschaftlichen Leistungserbringung für im Haushalt gepflegte Kinder mit bronchopulmonaler Dysplasie beitragen, da die Eltern eine umfassende pflegerisch-therapeutische Rolle übernehmen. Dadurch werden jedoch ggf. Über-, Fehl- und Unterversorgung mit entsprechenden Qualitätsmängeln in Kauf genommen. Eine sorgfältige Überprüfung des Einzelfalls unter Beachtung der notwendigen Qualifikationen und Kontextfaktoren ist erforderlich.

 

Technologieabhängige Patienten mit Heimbeatmung und/oder Tracheostoma, z.B bei chronisch respiratorischer Insuffizienz, neurologischen und neuromuskulären Störungen, apallischem Syndrom, infantiler Zerebralparese

 

Die Pulsoximetrie von Patienten mit Tracheostoma und/oder Beatmung im häuslichen Umfeld kann eine engmaschige und fachlich qualifizierte ärztliche Verlaufskontrolle mit regelmäßiger Statuserhebung nicht ersetzen. Möglicherweise kann die Pulsoximetrie im häuslichen Umfeld zu einer wirt-schaftlichen Leistungserbringung für im Haushalt gepflegte Patienten mit Tracheostoma und/oder Beatmung beitragen, da die Betreungspersonen (z.B. Eltern bei Kindern/Jugendlichen) eine umfassende pflegerisch-therapeutische Rolle übernehmen.
Dadurch werden jedoch ggf. Über-, Fehl- und Unterversorgung mit entsprechenden Qualitätsmängeln in Kauf genommen. Eine sorgfältige Überprüfung des Einzelfalls unter Beachtung der notwendigen Qualifikationen und Kontextfaktoren ist erforderlich. Möglicherweise ist im Einzelfall die Versorgung mit häuslicher Krankenpflege rund um die Uhr die beste Überwa-chungsmethode um lebensbedrohlicher Atemstörungen durch z.B. Verlegung der Atemwege (Sekretanschoppung), Bronchialob-struktion oder zentrale Apnoe zu erkennen. Die Notwendigkeit der Pulsoximetrie soll durch eine entsprechende Fachambulanz festgestellt und im Einzelfall begründet werden.

 

Die Anwender der Überwachungsmonitore müssen angeleitet sein, auf pulsoximetrische Alarme adäquat zu reagieren. Hierzu zählt das Erkennen des klinischen Zustandbildes, Un-terscheidung von Fehlalarmen des Gerätes, Einleitung von Notfallmaßnahmen in Bezug auf Ursache der Atemstörung und Unterweisung in der Interpretation der Messwerte im Abgleich mit anderen Indikatoren lebenswichtiger Körperfunktionen (Vitalzeichen). Weiterhin ist der Einsatz von Pulsoximetern nur im Rahmen eines interdisziplinären Gesamtbehandlungsplanes sinnvoll. Voraussetzung ist in jedem Fall die Verfügbarkeit einer qualifizierten und rund um die Uhr anwesenden Betreuungsperson.

Alle Informationen sowie eine Liste der verodnungsfähigen Pulsoxymeter (unter denen sich übrigens kein Fingerpulsoxymeter findet) gibt es im Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverbandes.

5. Fazit

Fingerpulsoxymeter mögen ihre Berechtigung haben – insbesondere bei gesunden Sportlern. Gerade aber im Bereich der Notfallmedizin können die Messergebnisse von Fingerpulsoxymetern drastische Abweichungen von den realen Werten aufweisen und so zu einer völligen Fehleinschätzung der Gesamtsituation führen. Insgesamt sind sie daher für medizinische Zwecke im Bereich der Akutmedizin kaum zu empfehlen und haben nicht umsonst auch keinen Eingang ins Hilfsmittelverzeichnis gefunden, ebenso wenig wie sie im primären Rettungsdienst eingesetzt werden. Wie bereits gesagt: Ausschlaggebend ist aber generell nicht das Messergebnis, sondern das Patientenbild. Und: es handelt sich um keine Studie, sondern einen Einzelfall – der aber anderen Menschen ebenso ergehen könnte.

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