Im Dialog mit der Deutschen Bahn: Anregungen zur Rollstuhlfreundlichkeit und Barrierefreiheit
Wie schon vielfach erwähnt: meine Partnerin im Rollstuhl und ich gehören zu den Vielfahrern mit der Deutschen Bahn. Deshalb hatten wir auch einige Tipps verfasst, die das Reisen mit der Bahn mit Behinderung erleichtern sollen. Naturgemäß läuft das nicht immer reibungslos ab, und so sind wir mit der Deutschen Bahn in Kontakt getreten, um auf bestehende Probleme hinzuweisen. Wir fanden dort offene Ohren, engagierte Mitarbeiter und konkrete Lösungsansätze – und die Aufforderung, weiter zu diskutieren und weitere Anregungen in das Unternehmen hineinzutragen. Dem komme ich sehr gerne nach und versuche, die gesammelten Anregungen geordnet und kategorisiert wiederzugeben.
1. Technische Probleme beim Reisen mit der Bahn im Rollstuhl
Mehrmals wurden technische Pannen beklagt, die erhebliche Umwege oder Kompromisse erforderlich machen – was wir auch aus eigener Erfahrung bestätigen können. Ein Auszug daraus, was wir und andere Reisende mit Behinderungen vorfanden:
- Defekte Fahrstühle, die bisweilen länger als eine Woche nicht repariert wurden und so ersatzlos entfielen. Beispielsweise am Hamburger Hauptbahnhof, wo je Bahnsteig nur ein einziger Fahrstuhl verfügbar ist, oder auch am hochfrequentierten Berliner HBF, wo ein Fahrstuhl zu den S-Bahn-Gleisen zur Hauptreisesaison über Wochen hinweg wegen Wartungsarbeiten deaktiviert war, was zu riesigen Verzögerungen am verbleibenden Aufzug geführt hat.
- Defekte Einstiegsrampen bei RE-Zügen: Mir persönlich noch nie untergekommen, anderen Reisenden schon. Das ist mit Hilfe des Personals noch einigermaßen zu bewältigen – wobei auch das Zugpersonal bei E-Rollis, die schnell über 100 Kilogramm wiegen können, an seine Grenzen stoßen dürfte. Schlimmer aber: defekte Automatiktüren. Wer mit dem Rollstuhl auf der rechten Seite einsteigt und feststellt, dass er auf der linken Seite aussteigen muss, wo die Tür defekt ist, kommt nur noch mit massivem Organisationsaufwand aus dieser Falle heraus. Besser: solche Züge nicht einsetzen.
- Andere Defekte an der Zugeinrichtung sind meist noch zu verschmerzen, auch wenn eine gesperrte Rollstuhl-Toilette gerade im Fernverkehr sicher kein Vergnügen ist. Aber gerade für Menschen mit Behinderung ist es nötig, dass sie sich auf die vorhandene Hilfstechnik verlassen können. Ein Ausfall auf der Strecke ist höhere Gewalt, aber grundsätzlich sollten Züge mit solchen Defekten nicht bereitgestellt werden, wenn vermeidbar. Für Behinderte handelt es sich dabei nicht um Komfortmerkmale, sondern um essenzielle Technik, ohne die sie in eine völlig hilflose Lage versetzt werden können.
2. Personal und Mitreisende, Kommunikation
Vorweg: es handelt sich auch unserer Erfahrung nach um absolute Einzelfälle. Dennoch ist bisweilen Personal zu beobachten, das einerseits mit der Bordtechnik nicht vertraut ist oder sich bei offensichtlicher Hilfsbedürftigkeit gerne aus der Affäre zieht. Beispielsweise wenn das Multifunktionsabteil im RE/IR gerade in den Sommermonaten heillos mit Fahrrädern vollgestopft ist und die Räder schon in der Toilette deponiert werden, wäre ein Hinweis des Zugpersonals an die Mitreisenden hilfreich, dass a) es meist im mittleren Zugteil ein zweites Fahrradabteil, nicht aber ein zweites Rollstuhlabteil gibt und b) es nett wäre, wenn für den Rollstuhlfahrer Platz geschaffen würde. Sicher, meistens lassen sich solche Situationen auch selbst regeln, aber es gibt auch durchaus Rollstuhlfahrer und andere Behinderte (oder auch Gesunde mit gebrochenem Arm, Bein, Senioren, und und und), die den Mut nicht aufbringen, andere anzusprechen. Wer diesen Mut aber aufbringt, wird fast immer auf hilfsbereite und verständnisvolle Mitreisende treffen – dennoch wäre es wünschenswert, wenn das Zugpersonal gerade hier im MFA öfter einmal einen kontrollierenden Blick auf die Lage werfen würde.
Auch sollte das Zugpersonal immer wieder darauf hin gebriefed werden, dass auch Menschen mit Behinderung zwischendurch einmal spontan sein möchten – und das auch dürfen. Nicht jede Fahrt ist 24 Stunden im Voraus planbar und über den Mobilitäts-Service anzumelden. Hierfür sollte das Verständnis geschärft werden, dass auch Menschen, die im Rollstuhl sitzen, einfach mal spontan übers Wochenende Freunde oder Verwandte besuchen möchten oder über den Weihnachtsmarkt tingeln wollen, ohne vorab schon ihre Rückfahrt planen und anmelden zu müssen. Denn meist müssen sie bereits ihren Alltag mehr als gründlich durchorganisieren. Und Spontanität ist im Leben einfach zu wichtig, um sie vollständig zu missachten. Natürlich muss man dabei gewisse Einschränkungen in Kauf nehmen – dafür hat mit Sicherheit auch praktisch jeder Rollstuhlfahrer Verständnis. Aber vom Zugpersonal – wie auch mehrfach (!) selbst persönlich erlebt – in äußerst unwirschem Tonfall angefahren zu werden, warum man die Fahrt denn nicht angemeldet habe – das geht nicht. Auch wenn das sicherlich absolute Einzelfälle sind (tatsächlich haben wir mit hunderten Zugbegleitern positive Erfahrungen gemacht!), sollte klargestellt sein, dass Menschen mit Behinderung kein Störfaktor sein dürfen. Sie dürfen nicht einmal so betrachtet werden, trotz allem Stress. Das ist der Grundgedanke der Inklusion.
3. Hilfreiche Erweiterungen der DB-App
Die Deutsche Bahn bietet eine App für Android und iOS an, die an sich schon recht hilfreich ist. Sie könnte aber zugunsten von MbM weiter aufgebohrt werden um folgende Features:
- Auskunft (mindestens) über die Zugänglichkeit von Bahnstationen. Bis heute wird im Ergebnis nicht ausgespuckt, ob der Bahnhof oder die S-Bahn-Station einen Fahrstuhl hat, geschweige denn, dass der Betriebszustand berücksichtigt wird. Auch eine konkrete Wegbeschreibung wäre dafür hilfreich – gerade am Hamburger Hauptbahnhof können Ortsfremde leicht verzweifeln, wenn sie beispielsweise den Fahrstuhl zur U-Bahn HBF Süd suchen müssen.
- Wagenstandszeiger: Wer Stammstrecken fährt, wird – gesetzt dem Fall, dass der Zug in normaler Wagenreihung einfährt – ungefähr wissen, in welchem Gleisabschnitt das Rollstuhl-Abteil zum Stehen kommen wird. Anders sieht das aus, wenn es sich um unbekannte Züge handelt, insbesondere im Regional-Verkehr, wo der Mobilitäts-Service nicht zwingend für den Einstieg benötigt wird. Hier wäre ein Wagenstandszeiger (der beispielsweise in Berlin für Regionalzüge ohnehin nichtmal am Gleis verfügbar ist) ein immens wichtiges Hilfsmittel und würde auch den Mobilitäts-Service entlasten.
- Zukunftstraum: Die Möglichkeit, sich via App mit dem Mobilitätsservice zu verabreden, statt die üblichen 20 Minuten im Voraus am Info-Counter aufschlagen zu müssen. Toll wäre es, wenn man – Voranmeldung vorausgesetzt – direkt zum Gleis fahren könnte und dort “einchecken”, um dem Mobilitäts-Service zu signalisieren: Kunde XY, ICE 1234, ist am Gleis 1 Abschnitt A angekommen und wartet dort.
4. Weitere Anregungen
Langfristig würde es zur Entlastung aller Beteiligten beitragen, wenn die Bahnsteighöhe vereinheitlicht würde, um stufenloses Ein- und Aussteigen zu gewährleisten. Sicher ist das noch Zukunftsmusik, aber es wäre ein tolles Ziel.
Foto: Deutsche Bahn AG
Mit Dank an das Social Media-Team der Deutschen Bahn und Raul Krauthausen für die Mitwirkung an der Befragung.
Mit Interesse habe ich Ihren Artikel gelesen. Darf ich ihn ausdrucken und dem Zugbegleitpersonal in die Hand drücken, wenn es uns bei einer unserer Reisen mal wieder quer kommt?
Punkt 1 ist ein richtiges Ärgernis. Bei den Fahrstühlen frage ich mich schon seit längerem, warum defekte Fahrstühle sich nicht bei einer zentralen Stelle automatisch melden können. Die Technik dafür gibt es bereits seit Jahren, doch es ist immer noch so, dass sich erst ein Kunde bei der DB beschweren muss oder ein Mitarbeiter eine Begehung macht, damit man dort überhaupt erst mal Kenntnis davon erhält. Eine solch riesige Infrastruktur, wie sie die Deutsche Bahn vorhält, ohne jegliches technisches Fehlermeldungssystem zu betreiben, ist schon mehr als nur blauäugig. Dennoch ist das aber der technische Standard bei der DB. Traurig und ein dringender Bedarf der technischen Nachrüstung. Denn ein Fahrstuhl der nicht funktioniert ist für darauf angewiesene noch schlimmer, als überhaupt kein Aufzug. Denn dann sucht man sich gleich einen anderen Weg. Hier in Köln ist jetzt ein Aufzug praktisch seit Anfang Juni ständig defekt. Mutwillige Zerstörung war hier – zur Entlastung der Bahn – nicht die Ursache. Zwischendurch funktionierte er immer mal immer wieder für ein paar Stunden. Ein Einzelfall? Ich denke leider eher nicht.
Den Punkt 2 unterschreibe ich sofort. Auch uns ist es schon häufiger passiert, dass wir von Zugführern angepflaumt worden sind, warum wir denn unsere Fahrt nicht angemeldet hätten. Sorry, geht es noch?
Punkt 3 ist mir völlig unbegreiflich: Da werden und wurden inzwischen Millionen in neues Rollmaterial und barrierefreie Bahnhöfe investiert, aber Hafas wenigstens mal um das Hakenkästchen “Barrierefreiheit erforderlich” zu erweitern, kam der Bahn bis heute noch nicht in den Sinn. Dabei lassen sich auf vielen Strecken Umstiegsbahnhöfe umfahren, die nicht barrierefrei sind.
Bisher helfe ich mir jedoch bei der Reiseplanung immer mit der Seite http://www.Bahnhof.de , um mir dort dann Infos zu den Bahnhöfen zu besorgen. Mitunter wird das jedoch zu einer Detektivarbeit. Wenn man z.B. mit den örtlichen Gegebenheiten von Münster Hbf nicht vertraut ist, dieser gerade umgebaut wird und nun verzweifelt versucht, eine Auskunft zu erhalten, wie man barrierefrei von Gleis 4 auf Gleis 8 kommt. Da die Gleise 5 – 7 jedoch Stumpfgleise sind, liegt Gleis 8 am selben Bahnsteig gegenüber. Man schlägt sich die Hand vor den Kopf, wenn man es dann nach stundenlanger Recherche endlich herausgefunden hat, denn irgendwo habe ich dann bei DB Netz einen Bahnhofsplan gefunden. Aus dem das hervor ging. Er richtet sich eigentlich an Reiseunternehmen, die dort Züge halten lassen oder abstellen und versorgen lassen möchten. Auch die Wikipedia war schon so manches Mal eine Hilfe. Denn die Frage, ob besagte Station einen Aufzug hat, oder nicht, ist auch dort oft beantwortet. Auch hilft oft eine Bildersuche nach dem gewünschten Bahnhof bei Google.
Die Infos gibt es also eigentlich alle, nur ist leider nichts davon für Menschen sinnvoll vernetzt, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Doch die Zahl dieser Reisenden wächst täglich, es wird also Zeit, hier dringend nachzubessern.
Aber da sind wir dann allgemein beim Thema. Die ganzen Verbesserungen in Sachen Barrierefreiheit könnten viel besser laufen, wenn denn nur die Maßnahmen etwas koordinierter ablaufen würden.
Warum hat es z.B. die Bahn bis heute nicht geschafft, zumindest einmal alle 21 Bahnhöfe der Bahnhofskategorie 1 mit barrierefreien Zugängen zu versehen, dafür dann aber Bahnhöfe mit “Priorität 17b” barrierefrei umgebaut, was zwar auch schön ist, aber viel weniger Reisenden nützt. Auch hört die Barrierefreiheit dann oft am Bahnsteig auf, weil der vorhandene Aufzug leider nur auf einen aberwitzigen 40 cm Bahnsteig führt (z.B.Köln-West) oder aber derart vermurkst gebaut ist, dass man ihn kaum bis überhaupt nicht benutzen kann (Düsseldorf Hbf Gl. 9/10). Für mich sind das alles Belege dafür, dass zu diesem Thema ein vernünftiges Konzept völlig fehlt und es deshalb nur dann zu Verbesserungen kommt, wenn punktuell vor Ort die Initiative ergriffen wird oder, bei Neu- und Umbauten, die inzwischen allgemeingültigen Bauvorschriften eine Barrierefreiheit erforderlich machen.
An dieser gängigen Praxis muss sich schnellstens etwas ändern, denn die finanziellen Mittel sind nun einmal begrenzt. Ohne klares Konzept wird aber viel zu viel davon wenig sinnvoll verpulvert. Das geht aber leider nicht nur bei der DB und dem Bund (als Eigentümer) so, sondern ist auch in den meisten Städten und Gemeinden sehr verbesserungswürdig.
Pierre Ofzareck