Es ist Urlaubssaison! Höchste Zeit also, wieder einmal die Welt zu erkunden. Nach langer Abwägung, wohin es diesmal gehen soll, haben wir uns dann schließlich für ein bereits seit langem anvisiertes Reiseziel entschieden: Sizilien, die italienische Insel an der Spitze des charakteristischen “Stiefels”, sollte es werden. Und nachdem sich nur sehr spärliche Informationen finden ließen, wie rollstuhlgerecht Sizilien denn nun ist, haben wir beschlossen, es selbst herauszufinden. Es folgt also ein weiterer Rollstuhl-Reisebericht: wie rollstuhlgerecht ist Sizilien?

Foto: Timo Hermann/flickr.com
Barrierefreiheit auf Sizilien
Anders als in Frankreich ist in Italien keine gesetzliche Fristsetzung bis zur Erlangung eines bestimmten Grades an Zugänglichkeit vorgesehen – zumindest konnten wir im Zuge unserer Recherchen zwar ein 2001 überarbeitetes Gesetz über bauliche Barrierefreiheit im öffentlichen und privaten Raum finden, trotz Bemühungen aber keine solche Frist darin entdecken. Insgesamt ist auch unser Gesamteindruck von den Fortschritten durchwachsen, denn tatsächlich sind viele Bestrebungen erkennbar, oft an sehr unerwarteten Stellen Gebäude oder Gebiete auch für Rollstuhlfahrer zugänglich zu machen, an anderen Stellen aber hingegen auch wieder nicht. Zugute kommt Rollstuhlfahrern hier allerdings, dass in Italien gefühlt sehr viel weniger Senioren als hierzulande in Pflegeeinrichtungen leben, sondern zu Hause bei der Familie ihren Lebensabend verbringen und auch am Gemeinschaftsleben teilhaben, wodurch sich manch eher unerwartete barrierefreie Stelle erklären lässt. Ganz ohne Hindernisse läuft es aber fast nirgends ab.
Behindertenparkplätze in Italien
Der blaue Parkausweis nach dem europäischen Modell besitzt auch in Italien Gültigkeit. Er berechtigt dort zum Parken auf allgemeinen Behindertenparkplätzen (Achtung, Parkgebühren können unter Umständen dennoch nötig sein) und in einigen Bereichen zum Befahren von Fußgängerzonen, soweit an der Einfahrt eine Ausnahmegenehmigung vermerkt ist (meist ein gelbes Rollstuhl-Symbol). Viele der Parkplätze sind aber nummeriert und dürfen nur vom Inhaber des jeweiligen Ausweises genutzt werden, die Zahl der allgemeinen Parkplätze ist eher überschaubar.
Behinderten-Toiletten
Auch hier ist es so, dass oft an Orten, wo man eine behindertengerechte Toilette erwarten würde, keine solche Örtlichkeit vorhanden ist – dagegen stolpert man bisweilen an völlig unerwarteten Plätzen darüber. Sofern vorhanden, war der Zustand der Rollstuhltoiletten meist recht ordentlich. Euroschlüssel haben wir dagegen nirgends entdecken können.
Ausweisung rollstuhlgerechter Einrichtungen
Eines der schwierigsten Unterfangen ist es, tatsächlich rollstuhlgerechte Einrichtungen ausfindig zu machen. Zunächst wird man bei der Recherche von einer Vielzahl davon überrascht, bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass Italiener mit dem Rollstuhlsymbol offenbar recht großzügig umgehen. So waren wir davon überrascht, an den Straßen mehrere Wegweiser zu Zugangsstellen zum Meer mit Rollstuhlsymbol vorzufinden – doch dort angekommen, zeigte sich, dass der Zugang zum Wasser hier bei Weitem nicht gesichert war. Andere Einrichtungen, die tatsächlich rollstuhlgerecht sind, sind wiederum teilweise eben nicht ausgeschildert. Es bedarf also einer gewissen Ausdauer und einer Prise Humor, mit ausreichend Hartnäckigkeit finden sich aber doch immer wieder nutzbare Einrichtungen.
Ankunft am Flughafen Catania
Positiv verliefen unser Flug inklusive Boarding und Unboarding: Am Flughafen Catania-Fontanarossa ging es mittels Ambulift zusammen mit einer ganzen Gruppe von Senioren und Rollstuhlfahrern aus dem Flugzeug zum Ankunftsterminal, wo wir direkt zum Baggage Claim, der Gepäckverteilstation, eskortiert wurden. Es folgte die längste Wartezeit, die wir je am Baggage Claim verbracht haben: eine geschlagene Dreiviertelstunde sahen wir dem Band zu, wie sich minutenlang die selben zehn Koffer einsam im Kreis drehten, alle paar Minuten wurden etwa fünf weitere Koffer aufs Band geworden. Unsere Maschine war mit 200 Fluggästen voll besetzt, die großteils etwas ratlos dastanden und wie wir nicht wussten, wo unser Gepäck geblieben war. Irgendwann tauchten dann am Horizont doch unsere Koffer auf, und wir machten uns auf den Weg zur Mietwagenstation. Der Weg dorthin ist relativ unübersichtlich und weit, knappe 500 Meter legte ich mit Rollstuhl und zwei Reisekoffern zurück – am Eingang zum Mietwagenterminal war aber erfreulicherweise sogar eine Rampe verbaut. Weniger erfreulich verlief anschließend der Weg über den Parkplatz zum gebuchten Auto: Rasenpflaster ist der erklärte Feind aller Rollstuhl-Lenkrollen, die freudig in jede einzelne Vertiefung springen. Die Laufrolle unseres Reisekoffers verhielt sich ähnlich, gab dabei aber sogar den Geist auf und endete als Reparaturfall. Insgesamt waren unsere Erlebnisse so also durchwachsen, aber immerhin waren die meisten Bereiche völlig barrierefrei, und selbst das Mietwagen-Terminal war mit einem Rollstuhl-WC ausgestattet.
Die Unterkunft
Kommen wir nun zu einem etwas zweischneidigen Schwert. Wer auf italienischen Seiten nach rollstuhlgerechten Parametern sucht, wird überrascht sein über die hohe Anzahl an Ergebnissen, seien es Unterkünfte, Einrichtungen oder sonstiges. Wir mussten die Erfahrung machen, dass “rollstuhlgerecht” zumindest in unserer Region recht großzügig interpretiert wird. Tatsächlich fanden wir in unserer Unterkunft nahe Siracusa Stufen, die dort eigentlich nicht hätten sein dürfen – weshalb wir sie an dieser Stelle auch nicht weiterempfehlen können, sehr zu unserem Bedauern. Denn die Anlage selbst war traumhaft schön und liebevoll ausgestattet, die Betreiber waren unglaublich “simpatico” und sehr engagiert, und letztlich haben uns die beiden Stufen nicht weiter gestört – aber das Label “rollstuhlgerecht” war hier leider nicht angebracht. UNSER TIPP DAHER: In Suchmaschinen nicht darauf verlassen, sondern immer auch auf Bilder bestehen, insbesondere von Eingängen oder Badezimmern, um keine unangenehmen Überraschungen zu erleben!
Die Städte
Trotz der begrenzten Urlaubstage haben wir uns auf den Weg gemacht, um neben Strandurlaub auch einige sizilianische Städte zu bestaunen. Neben Siracusa mit seiner wunderschönen Altstadt Ortigia haben wir auch Noto, Taormina, Ragusa, Modica, Scicli und einige andere sizilianische Städte (und Dörfer) erkundet. Auf einige davon möchte wir im Besonderen eingehen:
Siracusa – Ortigia

Noto

Taormina

Modica bassa

Strände an der Ostküste Siziliens
Auf Sizilien finden sich Strände, die optisch teilweise tatsächlich an die Karibik erinnern – wie das Titelfoto dieses Reiseberichts beweist. Leider gibt es bislang kein Verzeichnis über barrierefreie Strände auf Sizilien. Die Suche erweist sich daher immer wieder als Glücksspiel. Wir haben einige Strände zwischen Siracusa und Pachino getestet.
Lido di Noto
Ein breiter Strandabschnitt, wo ein wenig Sucharbeit vonnöten ist, um eine Rampe von der Straße zum Strand zu finden – die meisten Zugänge sind mit Treppen versehen. Unterhalb dieser Rampe (deren Ende etwas abenteuerlich ist, Hilfe von einer Begleitperson ist dabei zwingend erforderlich!) schließt sich ein Weg aus Kunststoffmatten Richtung Wasser an, der allerdings auf etwa der halben Strecke endet. Wer sich nur ein wenig sonnen möchte, ist damit gut bedient. Einen Zugang zum Wasser gibt es allerdings nicht für Rollstuhlfahrer.
Isola delle Correnti
Über einen kleinen Sandweg lässt sich zu einem nicht ausgewiesenen Parkplatz fahren. Von dort führt ein Holzsteg mit anschließenden Kunststoffmatten vom Parkplatz durch die Dünen zu einer kleinen Strandbar, an der auch Liegestühle gemietet werden können. Zugang zum Wasser gibt es nicht, die Strandbar befindet sich aber nur etwa 15 Meter vom Wasser entfernt. Die Besonderheit: an der Isola delle Correnti treffen das Mittelmeer und das Ionische Meer zusammen, und die winzige Landzunge, auf der die Strandbar liegt, ist von beiden Seiten von Wasser umgeben. Man blickt also nach rechts und nach links und blickt dabei auf zwei verschiedene Meere! (Wheelmap-Link)
Spaggia del Gelsominito
Ein Traumstrand! Azurblaues Wasser, feiner Sand – wer unter Einheimischen am Strand liegen möchte, ist hier richtig. Die schlechte Nachricht: Er ist nur für Rollstuhlfahrer mit geübten Schiebern zugänglich. Leider gibt es hier keine Matten, keine Hilfen – sondern nur Sand. Wer aber in der Lage ist, dies irgendwie zu bewältigen, sollte sich dieses kleine Paradies auf keinen Fall entgehen lassen! Etwas versteckt geht von der Straße ein kleiner Weg ab, der durch eine Unterführung unterhalb der Straße durchführt. Dahinter findet sich ein Kassenhäuschen, an dem Autofahrer zehn Euro ärmer werden. Dafür gibt es auf dem wunderschönen Parkplatz direkt hinter dem Sandstrand mehrere Imbiss- und Eisstände, Toiletten und sogar Duschen. Der Blick über den Strand entschädigt für jede Mühen und das Geld – definitiv! (Wheelmap-Link)
Lido di Fontane Bianche

Fazit
Die sizilianische Ostküste ist für Rollstuhlfahrer mit einigen Herausforderungen verbunden, wenn man die Insel aktiv erkunden möchte. Gerade in den kleinen Dörfern gehören aktive Rollstuhlfahrer auch offenbar nicht zum alltäglichen Straßenbild und werden oft sehr erstaunt (aber stets hilfsbereit!) wahrgenommen. Wer in Cassibile beim örtlichen Fischer (Pesce Fresco da Gino auf Wheelmap) auf seine frisch zubereitete Pasta frutti di mare wartet, wird vom einen oder anderen neugierig-überrascht beäugt. Gerade in den traditionelleren ländlichen Gegenden Italiens ist Inklusion noch ein sehr weites Ziel, was umso verwunderlicher ist, als dass die meisten italienischen Familien eher selten ihre Senioren in Pflegeheime geben, sondern zu Hause pflegen bis ins hohe Alter. Den zahlreichen Hindernissen steht aber die schon beinahe überschwängliche Herzlichkeit der Sizilianer (und ihr Stolz, den man besser nie verletzten sollte!) entgegen. Landschaftlich ist die Küste unglaublich abwechslungsreich, der Reichtum der Insel an Oliven, Zitrusfrüchten und Melonen zeigt sich allgegenwärtig in unfassbar großen Plantagen. Der Ätna bildet einen manchmal unwirklichen Kontrast zur pittoresken Küste, insbesondere durch seine stets brodelnde Aktivität, die das Leben auf der Insel schon mehrmals nahezu vollständig ausgelöscht hat, aber gerade dem Boden seine Fruchtbarkeit verleiht. Für aktive Rollstuhlfahrer, die Küste, Meer und wilde Landschaften ebenso lieben wie mediterrane Köstlichkeiten und südeuropäisches Temperament, ist Sizilien aber zumindest in Begleitung eine unbedingte Reiseempfehlung! Wir werden bestimmt wiederkommen…
Link: Alle Bilder vom Urlaub auf Sizilien auf Flickr.com
Link: Sicilia Tourismus (auf deutsch umstellen)


